Private Krankenversicherung: Übernahme von Behandlungskosten auch nach Abfindungsvergleich
Das saarländische Oberlandesgericht hat mit Urteil vom 02.10.2019 (Az. 5 U 106 / 18) einem verunfallten Versicherungsnehmer eines privaten Krankenversicherers recht gegeben. Das Gericht hat den Krankenversicherer dazu verpflichtet, die dem versicherten Kläger aus einem Unfall entstandenen Krankheitskosten im Rahmen des bestehenden Versicherungsschutzes zu zahlen, obwohl dieser in einem Prozess mit dem Unfallverursacher und dessen Kfz-Haftpflichtversicherer auf zukünftige Ansprüche verzichtet hatte. Die Erläuterungen des Oberlandesgerichtes sind ohne Weiteres auch auf das Arzthafungsrecht anwendbar.
Die Parteien stritten über die Eintrittspflicht des privaten Krankenversicherers aus einer privaten Krankenversicherung. Der Kläger musste nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall ärztlich behandelt werden. Die entstandenen Krankheitskosten wurden von seinem privaten Krankenversicherer beglichen, der dann die bis dahin entstandenen Kosten in Höhe von ca. 22.000 EUR vom Haftpflichtversicherer des Unfallgegners zurückverlangte.
Aufgrund der Art der Verletzungen war klar, dass noch zwei weitere Operationen erforderlich würden, also auch zukünftig Heilbehandlungskosten entstehen, die der private Krankenversicherer zu tragen hätte.
Um seine Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen den Unfallgegner und dessen Haftpflichtversicherer durchsetzen zu können, führte der Versicherungsnehmer einen Rechtsstreit. Der wurde durch einen Vergleich beendet, der alle Ansprüche gegen den Unfallgegner und dessen Haftpflichtversicherer erledigte. Konkret hieß das, dass der Kläger auf sämtliche zukünftigen materiellen Ansprüche verzichtete. Dazu gehören die Heilbehandlungskosten, außerdem sämtliche Ansprüche inklusive derjenigen, die nicht Gegenstand des Rechtsstreits waren und noch nicht vorhersehbar waren. Die vom Krankenversicherer zu tragenden zukünftigen Heilbehandlungskosten waren nicht Gegenstand des Rechtsstreits.
Nach Abschluss des Vergleiches verweigerte der private Krankenversicherer die Erstattung weiterer Heilbehandlungskosten, mit der Begründung, der Versicherungsnehmer habe durch den Vergleich und den Verzicht auf die Ansprüche für die Zukunft eine Obliegenheit des Krankenversicherungsvertrages schuldhaft verletzt.
Das Urteil des Saarländischen OLG enthält noch einige Aspekte, die aus juristischer Sicht interessant sind. Im Wesentlichen hat das OLG den Fall bzw. die Problematik auf folgendes heruntergebrochen: Ein in der Verkehrsunfallangelegenheit anwaltlich vertretener Geschädigter darf sich auf den Rat seiner Anwälte verlassen. Raten diese ihm zu einem Abfindungsvergleich, darf der Mandant dem folgen, ohne eine Zweitmeinung zur Überprüfung des Rechtsrates einholen zu müssen. Selbst wenn der Rechtsrat fehlerhaft wäre, darf dem Geschädigten daraus kein Nachteil entstehen, da dieser vorgenannte Vertrauensgrundsatz gilt.
Was liegt diesem Rechtsgedanken zugrunde?
Ein Versicherungsnehmer ist gegenüber seinem privaten Krankenversicherer verpflichtet, auch dessen Rechte (auf Ersatz der Heilbehandlungskosten) zu wahren (sog. Obliegenheit), wenn er gegenüber einem anderen aus einem Unfall oder einer fehlerhaften Behandlung Schadenersatzansprüche ableitet (§ 86 VVG). Verletzt er als Versicherter selbst eine Obliegenheit gegenüber seinem Versicherer, kann er dadurch Nachteile erleiden.
Der Anspruch auf Ersatz der Heilbehandlungskosten ist zunächst einmal ein Teil der Schadenersatzansprüche des geschädigten Versicherungsnehmers selbst.
Bis zu einem Vergleich ist der Geschädigte zunächst Anspruchsinhaber bezüglich sämtlicher Schadenersatzansprüche, also auch der Heilbehandlungskosten. Vom privaten Krankenversicherer zu erstattende Heilbehandlungskosten stehen mit deren Bezahlung allerdings nicht mehr dem Geschädigten zu, sondern dem privaten Krankenversicherer, der sie dann selbst beim Unfallgegner oder dessen Haftpflichtversicherer geltend machen darf, wie im Fall geschehen.
Dies gilt jedoch nicht für die zukünftig erst noch erwarteten Heilbehandlungskosten (hier die weiteren Operationen etc.). Der Geschädigte bleibt für diese weiter Anspruchsinhaber, weil die Ansprüche erst mit der Zahlung auf den privaten Krankenversicherer übergehen. D.h. über die vergangenen, bereits geleisteten Heilbehandlungskosten konnte der geschädigte Versicherungsnehmer im Verkehrsunfallprozess nicht mehr verfügen, über die zukünftigen schon. Dies tat er im Vergleich unwissentlich durch seinen Verzicht auf alle weiteren zukünftigen „materiellen“ Schadenersatzansprüche im Vergleich auf anwaltlichen Rat hin.
Der bevollmächtigte Anwalt vertrat seinen Mandanten nur in der Verkehrsunfallangelegenheit und nicht auch gegen die private Krankenversicherung. Daher war ein die vertragliche Verbindung zum privaten Krankenversicherer tangierender Rat (den Abfindungsvergleich anzunehmen) kein Verschulden, dass sich der Mandant im Verhältnis zu seinem privaten Krankenversicherer als eigene Obliegenheitsverletzung zurechnen lassen muss. Wie oben ausgeführt, muss der Versicherte nur dann Konsequenzen nach einer Obliegenheitsverletzung befürchten, wenn er sie selbst begangen hat.
Somit kann eine etwaige unterstellte mögliche fehlerhafte Beratung dem geschädigten Versicherungsnehmer nicht zugerechnet werden und ihm damit auch nicht schaden. Denn der geschädigte Versicherungsnehmer hat in dem entschiedenen Fall weder vorsätzlich, also wissentlich und willentlich, den Rechtsübergang der Ansprüche auf Ersatz der Heilbehandlungskosten vereitelt, noch hat er dies grob fahrlässig getan, wenn er dem anwaltlichen Rat in der Verkehrsunfallangelegenheit folgend den Vergleich abschließt.
Das Oberlandesgericht erklärt hierzu: „[…] Der Kläger war beim Haftungsprozess anwaltlich vertreten; der Abschluss des Abgeltungsvergleiches erfolgte […] auf anwaltlichen Rat seiner Prozessbevollmächtigten, von der der Kläger mangels abweichender Anhaltspunkte annehmen durfte, dass sie die Rechtslage, auch im Hinblick auf etwaige Folgen der darin enthaltenen Abgeltungsklausel-umfassend geprüft und für rechtlich unbedenklich befunden hatte. Bei dieser Rechtslage kann dem Kläger kein grob fahrlässiger Verstoß gegen das versicherungsrechtliche Aufgabeverbot zur Last gelegt werden. Ein solcher Vorwurf scheitert daran, dass er anwaltlichen Rat eingeholt und sich auf dessen Richtigkeit verlassen hatte; mehr als dies konnte von ihm unter den gegebenen Umständen nicht verlangt werden. Wendet sich der Versicherungsnehmer an einen Rechtsanwalt und holt Rat ein, kann er sich grundsätzlich auf dessen Richtigkeit verlassen […]. Deshalb durfte der Kläger im Streitfall dem Rat seiner Prozessbevollmächtigten folgen und dem […] Vergleich nähertreten, von dem jedenfalls für ihn nicht offensichtlich sein musste, dass dadurch auch übergangsfähige Ansprüche auf Ersatz künftiger Behandlungskosten erfasst und letztlich zum Nachteil der Beklagten mit abgegolten waren. Anlass, die ihm erteilten anwaltlichen Ratschläge weitergehend auf ihre Richtigkeit und Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, musste der Kläger nicht haben. […]“
Somit ist der private Krankenversicherer verpflichtet, seinem Versicherungsnehmer auch in der Zukunft sämtliche unfallbedingten Behandlungskosten zu ersetzen, selbst wenn er dafür vom Gegner keinen Ersatz zu erwarten hätte. Es gibt Konstellationen, bei denen das trotzdem möglich ist.
Das Urteil schützt nicht nur den Laien, sondern schützt auch das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant in der Haftpflichtangelegenheit (Verkehrsunfall, Unfall oder Arzthaftungsfall).
Gerade bei Geschädigten, die durch einen (Verkehrs-)unfall oder einen Behandlungsfehler einen schweren Gesundheits- und Körperschaden davongetragen haben, kann es verheerend sein, wenn der private Krankenversicherer sich weigert, Behandlungskosten zu übernehmen. Bei einer privaten Zusatzversicherung mag das noch verkraftbar sein, weil der gesetzliche Krankenversicherer eintrittspflichtig bleibt. Bei einer privaten Krankenvollversicherung ist die Tragweite für den versicherten Geschädigten natürlich eine ganz andere.