Deckungssumme überschritten? Versicherungssumme erschöpft?
Für Schwerstgeschädigt, die von der Haftpflichtversicherung eine monatliche Unfallrente erhalten, um ihren täglichen Lebensunterhalt zu bestreiten, ist es wahrscheinlich eine niederschmetternde Nachricht, wenn der Haftpflichtversicherer plötzlich mitteilt, dass die Unfallrente nicht mehr gezahlt werden kann, weil die Deckungssumme nicht mehr ausreicht.
Haftpflichtversicherer sind nach den Versicherungsbedingungen verpflichtet, im Schadensfall bestimmte Leistungen zu erbringen. Der Betrag, für den der Versicherer einstehen muss, ist auf eine bestimmte Summe begrenzt, die sogenannte Deckungssumme. Reicht die Deckungssumme nicht aus, um alle Ansprüche aus dem Schadensfall zu befriedigen, ist der Schädiger selbst verpflichtet, den Schaden zu ersetzen. Doch was nützt dieser Anspruch, wenn beim Schädiger nichts mehr zu holen ist?
Überschreiten der Deckungssumme: Prüfung ist ein Muss
Wenn der Versicherer mitteilt, die Deckungssumme sei erreicht, ist eine genaue Prüfung Pflicht. Es kommt nämlich nicht nur auf den im Versicherungsschein genannten Betrag an. Dieser Betrag ist vielmehr unter Berücksichtigung eines bestimmten Zinssatzes abzuzinsen. Dabei kann der Zinssatz
- gesetzlich geregelt sein,
- sich aus dem Versicherungsvertrag ergeben oder
- er wird anhand der konkreten Marktlage in angemessener Höhe ermittelt.
Eine korrekte Berechnung des abzuzinsenden Betrags ist entscheidend, um festzustellen, ob die Deckungssumme tatsächlich erschöpft ist oder ob noch Ansprüche bestehen.
Kürzung- und Verteilungsverfahren, Befriedungsvorrecht
Darüber hinaus sind komplizierte Regelungen im so genannten Kürzungs- und Verteilungsverfahren zu beachten, die bei der Mitteilung des Versicherers über das Erreichen der Deckungssumme oft nicht beachtet oder nicht richtig angewendet werden. Diese Verfahren bestimmen, in welcher Reihenfolge und in welchem Umfang die verschiedenen Gläubiger aus der zur Verfügung stehenden Deckungssumme befriedigt werden.
Darüber hinaus kann dem Geschädigten ein Befriedigungsvorrecht gegenüber Sozialversicherungsträgern oder anderen Leistungsträgern zustehen. Dies bedeutet, dass bestimmte Ansprüche vorrangig aus der Deckungssumme zu befriedigen sind, bevor andere Ansprüche geltend gemacht werden können. Dadurch kann sich die tatsächlich für die Unfallrente zur Verfügung stehende Summe weiter verringern.
Was tun bei Erschöpfung der Deckungssumme?
Wenn die Deckungssumme überschritten ist oder die Versicherungssumme erschöpft ist, stehen den Geschädigten mehrere Handlungsmöglichkeiten offen:
- Prüfung der Schadensberechnung: Überprüfen Sie, ob die Berechnung des Schadens und die Anwendung der Deckungssumme korrekt sind. Oftmals können Fehler oder Missverständnisse vorliegen.
- Rechtsberatung einholen: Ein spezialisierter Anwalt für Versicherungsrecht kann helfen, die Ansprüche zu prüfen und gegebenenfalls rechtliche Schritte einzuleiten. Häufigmals stellen sich dabei höhere Ansprüche heraus, als ursprünglich angenommen.
- Nachhaftung prüfen: In bestimmten Fällen kann eine Nachhaftung des Versicherers bestehen, wenn die ursprüng Deckungssumme nicht ausreicht. Dies ist jedoch rechtlich komplex und erfordert fachkundige Beratung.
- Alternative Finanzierungsmöglichkeiten: Sollten weiterhin Ansprüche bestehen, könnten staatliche Unterstützungen oder soziale Leistungen in Anspruch genommen werden, um die finanzielle Lücke zu schließen.
Fazit
Liegt die Mitteilung des Versicherers über das Erreichen der Deckungssumme im Briefkasten, sollte man unbedingt einen spezialisierten Anwalt mit der Überprüfung beauftragen. Oft stellt sich dann heraus, dass Versicherer zum Teil deutlich mehr zahlen müssen als das, was als Versicherungssumme vereinbart wurde. Eine gründliche Prüfung der Versicherungsbedingungen und der Schadensberechnung ist essenziell, um die eigenen Rechte vollumfänglich wahrzunehmen und finanzielle Nachteile zu vermeiden.
Mathias Holl, LL.M. (Versicherungsrecht) – Fachanwalt für Verkehrsrecht