Haftungsrelevante Problemfelder in der Geburtshilfe: Versorgungsstufen und Leitlinien
Behandlungsfehler in der Geburtshilfe sind leider immer noch keine Seltenheit. Die geburtshilfliche und gynäkologische Betreuung von Schwangeren hat sich im Laufe der Jahre stetig weiterentwickelt. Dies führt einerseits zu einer besseren Versorgung der Patientinnen und zur Früherkennung von Problembereichen, andererseits aber auch dazu, dass Ärzte und Krankenhäuser mit dieser Entwicklung Schritt halten müssen.
Während Wünsche und Vorstellungen der Betroffenen (z.B. Religion, Erziehung etc.) schon immer eine Rolle gespielt haben, kommen in jüngster Zeit neue wissenschaftliche Erkenntnisse und technologische Fortschritte hinzu. Aber auch marketingstrategische Einflüsse einer Klinik oder eines Geburtshauses beeinflussen sowohl die Qualität der Behandlung als auch die Entscheidung der Schwangeren.
Perinatalversorgung und Risikofaktoren: Abwägung bei der Wahl des Geburtsortes
Nicht allen werdenden Eltern ist bewusst, dass der höchste Standard der Neugeborenenversorgung immer das Perinatalzentrum (Level 1 oder 2) ist. Viele kleinere Häuser können diesen Standard, d.h. die apparative und personelle Ausstattung, nicht vorhalten. Es ist also nicht immer ein Kinderarzt vor Ort und es ist auch nicht jede technisch denkbare Versorgung vorhanden. Das bedeutet zwar nicht, dass die Behandlung in einem Krankenhaus der Maximalversorgung risikoärmer ist, aber Fakt ist: Je niedriger die Versorgungsstufe des Krankenhauses ist, desto größer ist das Risiko eines Geburtsschadens.
Auch kann den Eltern hier kein Vorwurf gemacht werden. Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn das Krankenhaus selbst nicht erkennt, dass die aktuelle Geburtssituation die Anforderungen an das Haus übersteigt. Hier spielen nicht nur Ego und Fehleinschätzung der Situation eine Rolle, sondern auch Grenzen, die durch mangelnde Ausbildung, fehlende Instrumente und diagnostische Möglichkeiten gesetzt sind. Es liegt daher an den Geburtsorten selbst (z.B. Belegklinik, Hebamme, Krankenhaus niedriger Versorgungsstufe) zu erkennen, dass eine Überweisung in ein spezialisiertes Zentrum notwendig ist.
Mutterschaftsrichtlinien und aktuelle Evidenz
Die ärztliche Betreuung der Schwangeren im Rahmen der Geburtshilfe ist in den sogenannten Mutterschaftsrichtlinien geregelt. Geburtshelferinnen und Geburtshelfer bzw. Gynäkologinnen und Gynäkologen sind an die Richtlinien gebunden und dürfen nur in ganz wenigen und vor allem begründeten Fällen davon abweichen.
Hier ist unter anderem geregelt, wann eine Risikogeburt vorliegt und wann ein spezialisiertes Team die Geburt begleiten muss. Dies kann eine Frühgeburt sein, kombinierte Risikofaktoren bei der Mutter (z.B. Schwangerschaftsdiabetes, Bluthochdruck und Eiweiß im Urin = Präklampsie oder Hellp-Syndrom), eine Zwillingsschwangerschaft oder bereits diagnostizierte Zustände, z.B. intrauterine Wachstumsretardierung oder Amnioninfektionssyndrom (AIS) etc.
Risikoeinschätzung und Spezialbetreuung: Wann ist eine Verlegung notwendig?
Im Einzelfall kann die Verlegung in ein spezialisiertes Zentrum oder bei drohender Entbindung die Einweisung von Fachpersonal erforderlich sein. Nicht selten müssen Neonatologen oder Kinderärzte die Schwangere aufsuchen, damit keine Zeit verloren geht und die Schwangere in dieser Zeit im Krankenhaus bleiben kann. Außerdem muss die Schwangere über die Möglichkeit einer Sectio aufgeklärt werden.
Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)
Die DGGG aktualisiert ständig ihre Leitlinien, um den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Technologien Rechnung zu tragen. Diese Leitlinien geben detaillierte Hinweise für die Betreuung von Schwangeren, insbesondere im Hinblick auf vorgeburtliche Untersuchungen, genetische Beratung und den Einsatz neuer Technologien in der Geburtshilfe.
Sie sind ein wichtiges Kriterium, um auch Ärzte mit möglichen Fehlern zu konfrontieren und einen gemeinsamen Standard für alle in der Geburtshilfe tätigen Kliniken zu schaffen. Auch wenn es spezialisierte Häuser in ganz Deutschland gibt, so bleibt doch der Maßstab, an dem man sich orientieren muss, immer der gleiche. Es kommt nicht selten vor, dass sich der Arzt auf das Argument zurückziehen will, man sei doch gar nicht so spezialisiert und müsse deshalb das Bewertungsniveau absenken. Das ist aber falsch, denn der medizinische Standard gilt für alle Ärzte und Krankenhäuser gleichermaßen.
Einhaltung von Standards und Haftungsvermeidung
Abschließend ist zu betonen, dass die Einhaltung dieser Leitlinien und Richtlinien von entscheidender Bedeutung ist. Die meisten haftungsrelevanten Fälle resultieren aus Verstößen gegen diese Vorgaben. Sowohl Gutachter als auch Ärzte müssen sich daran orientieren. Daher ist es unerlässlich, dass medizinisches Personal ständig geschult und über die neuesten Standards und Technologien informiert wird. Ist dies nicht der Fall, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass eine Entschädigung für diesen Verstoß gezahlt wird.
Rechtsanwalt Alexander Rüdiger Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht
Lehrbeauftragter der Universität Siegen