Schlaganfall mit „milder Symptomatik“
Bei Verdacht auf Schlaganfall gehören insbesondere die folgenden Maßnahmen zum ärztlichen Standard:
- ärztliche Vorstellung innerhalb von 10 Min (Neurologie)
- „sofortige Bildgebung“, also CT oder MRT
- „unverzügliche“ Verlegung auf eine Stroke Unit
- Prüfung und ggf. Veranlassung einer sogenannten Lysetherapie
(medikamentöse Auflösung des Blutgerinnsels) - Prüfung und ggf. Veranlassung einer sogenannten Thrombektomie
(mechanische Entfernung des Blutgerinnsels mittels Katheters) - Überwachung von Blutzuckerspiegel, Blutdruck, Körpertemperatur etc.
Werden diese Maßnahmen nicht oder verspätet veranlasst, könnte ein Behandlungsfehler vorliegen.
Notfall auch bei “milder Symptomatik”
Ein häufiges Argument der Versicherung ist, es habe nur eine „milde Symptomatik“ vorgelegen und deshalb hätten z.B. die sogenannte Lysetherapie oder Thrombektomie nicht durchgeführt werden müssen.
Dieses Argument ist so nicht richtig.
Denn in Fachliteratur und Leitlinien wird u.a. festgestellt, dass auch bei einem Schlaganfall mit milder Symptomatik
- ein medizinischer Notfall vorliegt,
- unverzüglich auf die Stroke Unit verlegt werden sollte,
- die Lyse einen Therapievorteil ergibt,
- die Lyse im Zweifel durchgeführt werden sollte.
Schlaganfallpatienten sind immer ein Notfall
Schon 2012 hieß es in den Leitlinien:
„Schlaganfallpatienten sind immer als medizinischer Notfall zu betrachten, auch wenn die Symptomatik nur mild ausgeprägt ist. Sie sollten unverzüglich in eine Stroke Unit gebracht werden, dort sollten sie (Seite 3) vorrangig als potenziell lebensbedrohlich erkrankt behandelt werden.“
2015 wurde in den Leitlinien ergänzt:
„Bis zu 25 % der wegen milder oder rückläufiger Symptome von der systemischen Thrombolyse ausgeschlossenen Patienten weisen ein ungünstiges klinisches Outcome mit Pflegebedürftigkeit oder Tod auf (Smith 2005, Nedeltchev 2007). Die gemeinsame Auswertung der randomisierten Studien ergab einen Therapievorteil auch für gering betroffene Patienten (Emberson 2014). Von Bedeutung dabei ist, dass die systemische Lysetherapie von wenig betroffenen Schlaganfallpatienten sicher ist (Steffenhagen 2009, Shi 2014). Aus diesen Gründen sollte auch eine rasche Symptombesserung nicht als Ausschlusskriterium akzeptiert werden, sofern noch ein messbares, behinderndes Defizit besteht. (…)“
2021 wurde dann in den Leitlinien sogar klargestellt:
„Eine systemische Thrombolysetherapie mit Alteplase soll bei behindernden Schlaganfallsymptomen innerhalb eines 4,5 Stunden Zeitfensters unabhängig vom Schweregrad (NIHSS) erfolgen. (…) (Seite 21) Im Zweifel sollte, wenn sonst keine Kontraindikationen vorliegen, die systemische Thrombolyse eher durchgeführt als von ihr abgesehen werden. (…) (Seite 22)“
Dabei deutet das verwendete Hilfsverb „soll“ auf „hohe Evidenzstärke [1 von 6 (hoch)]“ und auf eine „starke Empfehlung“ hin (Seite 5).
Rechtsanwalt Malte Oehlschläger, Fachanwalt für Medizinrecht
Spezialisiert auf die Vertretung von Schlaganfallpatienten