Schmerzensgeldtabellen – ein Überblick
Warum Schmerzensgeldtabellen notwendig sind
In unserer täglichen Arbeit als Anwälte hören wir immer wieder die Frage: „Was ist der Verlust eines Armes, eines Beines oder gar der Fähigkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, wert?“ Die schlichte Antwort lautet: „Solche Verluste sind mit Geld nicht aufzuwiegen“.
Kein Geld der Welt kann das Leid und den immateriellen Schaden aufwiegen, den schwere Verletzungen verursachen. Denn der wahre Wert eines Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit lässt sich nicht in Geld messen.
Die Themen im Überblick
- Wie viel Schmerzensgeld ist angemessen?
- Schmerzensgeldtabellen sind nicht verbindlich
- Jeder Fall ist einzigartig
- Auswahlkriterien bei Schmerzensgeldtabellen
- Schmerzensgeldtabellen berücksichtigen keine Vergleiche
- Höhe der Schmerzensgelder steigt
Die bekanntesten Schmerzensgeldtabellen
Dennoch müssen diese Schäden in einer Form ausgedrückt werden, die eine Bemessung des Schmerzensgeldes ermöglicht. Zu diesem Zweck greifen die Gerichte häufig auf Schmerzensgeldtabellen zurück. Diese Tabellen fassen Gerichtsurteile zusammen, in denen Schmerzensgeld für körperliche und seelische Schäden zugesprochen wurde.
Hier sind einige der bekanntesten Schmerzensgeldtabellen, die als Orientierungshilfe dienen:
- Beck’sche Schmerzensgeldtabelle
- ADAC-Schmerzensgeldtabelle (Hacks/Ring/Böhm)
- Schmerzensgeldtabelle des Oberlandesgerichts Celle
Was man bei der Nutzung von Schmerzensgeldtabellen beachten sollte
Diese Tabellen geben einen Überblick über bereits entschiedene Fälle. Sie sind jedoch nicht bindend, sondern geben lediglich einen Rahmen zur Einschätzung der in der Vergangenheit für vergleichbare Verletzungen zugesprochenen Beträge. Jede Entscheidung ist individuell und berücksichtigt die besonderen Umstände des Einzelfalls.
Wie viel Schmerzensgeld ist angemessen?
In den meisten Fällen wird der Anspruch auf Schmerzensgeld nicht vollständig erfasst oder richtig bewertet. Was ist zum Beispiel „angemessen“ für ein Unfallopfer, das durch eine Querschnittslähmung im Rollstuhl sitzt oder im Wachkoma liegt? Oder für jemanden, der nach einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung mit schweren gesundheitlichen Folgen leben muss? Für solche Schicksalsschläge kann es kein Schmerzensgeld geben, das wirklich „angemessen“ wäre, denn Schmerz und Leid lassen sich nicht mit Geld aufwiegen.
Die Rolle der individuellen Beeinträchtigung in der Rechtsprechung
Auch in der Rechtsprechung setzt sich zunehmend die Auffassung durch, dass Schmerzensgeldtabellen nur als erste Orientierung dienen können. Die genaue Bemessung hängt immer von der individuellen Beeinträchtigung ab. Dabei werden verschiedene Faktoren berücksichtigt, wie z.B. die Schwere der Verletzung, die Dauer der Behandlung, die Langzeitprognose und die Frage, ob mit Dauerschäden zu rechnen ist.
Psychische und soziale Aspekte der Schmerzensgeldbemessung
Darüber hinaus spielen psychische und emotionale Belastungen eine wichtige Rolle. Ängste und Sorgen, zerstörte Lebensträume, gescheiterte Beziehungen, Verlust und Einsamkeit, soziale Isolation, Depressionen und langwierige Therapien – all diese Aspekte beeinflussen die Entscheidung über die Höhe des Schmerzensgeldes und dürfen keinesfalls außer Acht gelassen werden.
Schmerzensgeldtabellen sind nicht verbindlich
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat es nicht nur zugelassen, sondern sogar ausdrücklich gefordert, bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auf ähnlich gelagerte Fälle zurückzugreifen. Bindend sind diese Entscheidungen aber nicht. Das ist auch gut so, denn die individuellen Ansprüche der Geschädigten werden in den Schmerzensgeldtabellen – wie auch in den häufig im Internet verfügbaren Schmerzensgeldrechnern – nur selten vollständig und richtig wiedergegeben.
Warum Tabellen und Online-Rechner nicht ausreichen
Weder Schmerzensgeldtabellen noch Online-Rechner können den Besonderheiten des Einzelfalls gerecht werden. Es geht immer um das Schicksal eines Menschen in einer einzigartigen Situation, die mit keiner anderen direkt vergleichbar ist. Schmerzensgeldtabellen sind daher eher als Orientierungshilfe und Informationsquelle zu verstehen und nicht als starre Vorgabe.
Jeder Fall ist einzigartig
Entscheidend ist, dass alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Dies unterstreicht auch die Rechtsprechung, wie z.B. das Kammergericht in Berlin. Jeder Fall hat seine Besonderheiten und Nuancen, die eine individuelle Bewertung erfordern.
Dies bestätigt auch die Rechtsprechung, wie z.B. das Kammergericht in Berlin:
„…soweit die Beklagten unter Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz vermeintlich vergleichbare Entscheidungen zitiert haben, sei angemerkt, dass eine solche Gleichbehandlung faktisch nicht realisierbar ist. Entscheidungen vergleichbarer Fälle mögen im Vorfeld der Entscheidungsfindung Orientierungsgesichtspunkte bieten, können jedoch nicht Grundlage der Schmerzensgeldbemessung des konkreten Falls im Urteil sein…. aus diesem Grund sieht der Senat keine Veranlassung sich mit der von den Beklagten zitierten Entscheidungen auseinander zu setzen. Es ist ausschließlich der vorliegende Einzelfall zu beurteilen…“ (KG Berlin, GesR 2005, S. 501; so auch schon: BGHZ 18, 167)
Willkürliche Auswahlkriterien für Schmerzensgeldtabellen
Die Kriterien für die Aufnahme von Entscheidungen in Schmerzensgeldtabellen sind oft willkürlich. Sie beruhen weder auf wissenschaftlichen Erkenntnissen noch auf statistischen Grundlagen. Fälle, die außergerichtlich geregelt wurden, werden in den Tabellen überhaupt nicht berücksichtigt. Zudem sind längst nicht alle Entscheidungen in den Schmerzensgeldtabellen enthalten, da nur solche Urteile aufgenommen werden, die dem Herausgeber der Tabelle gemeldet werden. Hinzu kommt, dass viele der veröffentlichten Entscheidungen fehlerhaft sind und daher ein verzerrtes Bild ergeben können.
Schmerzensgeldtabellen berücksichtigen keine Vergleiche
Ein wesentlicher Kritikpunkt an Schmerzensgeldtabellen ist, dass sie keine Vergleiche, sondern nur Gerichtsurteile veröffentlichen. Aus diesem Grund wird von der Versicherungswirtschaft häufig empfohlen, einen Vergleich anzustreben, anstatt ein Urteil zu erwirken.
Dies liegt vor allem daran, dass hohe Schmerzensgeldzahlungen, die im Rahmen eines Vergleichs gezahlt werden, nicht veröffentlicht werden und somit in den Tabellen nicht auftauchen. Gerade diese hohen Zahlungen sind aber entscheidend, da sie die tatsächliche Entwicklung der Schmerzensgeldsummen widerspiegeln und beeinflussen. Eine ausschließliche Orientierung an den Schmerzensgeldtabellen kann daher für die Geschädigten nachteilig sein.
Ein Beispiel für die Problematik
Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Im Juni 2014 wurde in einem unserer Verfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (14 U 99/11) ein Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO über 700.000 € Schmerzensgeld protokolliert.
Dies war die bis dahin höchste bekannte Schmerzensgeldsumme in einem gerichtlichen Vergleich in Deutschland. Bei strikter Orientierung an den Schmerzensgeldtabellen wäre ein solcher Vergleich nicht möglich gewesen. Die Tabellen hätten nur Schmerzensgelder zwischen 500.000 € und maximal 600.000 € zugelassen. Dies zeigt, wie wichtig es ist, Vergleiche in die Überlegungen einzubeziehen, um zu einer gerechten und realistischen Einschätzung der Höhe des Schmerzensgeldes zu gelangen.
Schmerzensgelder steigen
Um die Jahrtausendwende sorgte eine deutliche Erhöhung der Schmerzensgeldsummen, insbesondere bei schweren Personenschäden, für Aufregung in der Haftpflichtversicherungsbranche.
Wurden zuvor für schwer hirngeschädigte Patienten – etwa für Kinder mit Geburtsschäden oder Erwachsene im Wachkoma – lediglich symbolische Beträge von 75.000 bis 150.000 DM (etwa 40.000 bis 75.000 Euro) zugesprochen, stiegen die Summen plötzlich in den mittleren sechsstelligen Euro-Bereich an. Mit der Einführung des Euro wurde die Marke von „500.000 Euro“ zum neuen Maßstab für die Zuerkennung eines hohen Schmerzensgeldes, insbesondere bei vollständiger Zerstörung der Persönlichkeit.
Ungebrochener Trend und Vergleich mit den USA
Dieser Trend hält bis heute an und nur wenige Gerichte weichen von dieser Praxis ab. Dennoch sind wir von sogenannten „amerikanischen Verhältnissen“ noch weit entfernt. Schmerzensgeld wird in Deutschland – anders als in den USA – nicht als Strafe verhängt, sondern soll ausschließlich den erlittenen Schaden ausgleichen.
Schmerzensgeld: Ausgleich für entgangene Lebensqualität
Es ist wichtig zu betonen, dass auch ein hohes Schmerzensgeld die Gesundheit und das Wohlbefinden eines Menschen nicht wiederherstellen kann. Es bietet jedoch die Möglichkeit, zumindest einen Teil der verlorenen Lebensqualität und Lebensfreude zurückzugewinnen.
REDAKTION Personenschadensrecht
Wir stehen für kompetente und engagierte Unterstützung bei schweren Personenschäden. Mit langjähriger Erfahrung und fundiertem Fachwissen setzen wir uns konsequent für die Rechte Geschädigter ein. Ob Schmerzensgeld oder Schadenersatz – wir kämpfen für Ihre Ansprüche und begleiten Sie mit Fingerspitzengefühl durch den gesamten juristischen Prozess. Vertrauen Sie auf unsere Expertise in dieser sensiblen Materie.