Quote ärztlicher Behandlungsfehler – die Zahlen trügen
Die Schlichtungsstelle für Fragen ärztlicher Behandlungsfehler bei der Landesärztekammer (LÄK) Thüringen hat am 12.2.2018 ihre Statistik des Jahres 2018 veröffentlicht. Demnach lagen in Thüringen im Jahr 2017 insgesamt 284 Fälle vermuteter Behandlungsfehler vor. Bei 51 dieser 284 Fälle, die sich gegen ärztliche Institutionen (also nicht Pflegeheime) richteten, haben sich vermutete Behandlungsfehler auch bestätigt, was einer Quote von 18% entspricht. Die Hälfte der festgestellten Fehler betraf die Gebiete der Hand-, Hüft- oder Kniegelenksoperationen. Bei der Anzahl der gemeldeten Fälle handelt es sich um die niedrigste Zahl seit 2006. Auch die Fehlerquote von 18 % ist laut Schlichtungsstelle „hervorragend“.
Ermittelte Zahl der Behandlungsfehler ist mit Vorsicht zu genießen
Doch die Zahlen trügen: Die bei der LÄK Thüringen ermittelten Zahlen sind mit einiger Vorsicht zu genießen. Mitnichten bedeuten sie einen Rückgang des Gesamtaufkommens von Patientenbeschwerden und erst recht bedeuten sie nicht, dass insgesamt weniger Behandlungsfehler unterlaufen sind. Schon die bisherigen Statistiken der anderen Ärztekammern Deutschlands und auch diejenigen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) sprechen eine andere Sprache. Schon seit vielen Jahren muss – unabhängig vom Beschwerdeaufkommen – eine Behandlungsfehlerquote zwischen 25 – 35% aller gemeldeten Fälle angenommen werden. Das tatsächliche Aufkommen dürfte allerdings weitaus höher sein, weil etwa die vermeintlich negativen, also Behandlungsfehler verneinenden Gutachten des MDK oder der Schlichtungsstellen nicht selten in nachfolgenden Gerichtsprozessen durch die dortigen Sachverständigen gekippt werden. Letztendlich werden also trotz dieser für die PatientInnen negativen Gutachten Fehler bestätigt. Dies ist u.a. auch darauf zurückzuführen, dass etwa die Sachverhaltsaufklärung, z.B. die Berücksichtigung streitigen Parteivortrags, bei den Gerichten schlicht und einfach gründlicher betrieben wird. Die Möglichkeiten prozessualer Einflussnahme durch die Patientenseite ist faktisch größer (zivilrechtlicher Beibringungsgrundsatz).
Viele Behandlungsfehler werden nicht verfolgt bzw. gemeldet
Darüber hinaus gibt es nach wie vor ein nicht irrelevantes Dunkelfeld, also ein Aufkommen von nachweislichen Behandlungsfehlern, die aber niemals verfolgt bzw. gemeldet werden, weil die PatientInnen schlicht und einfach keinen Verdacht hegen und von der Behandlungsseite in aller Regel trotz des § 630 c Abs. 2 BGB kein Hinweis auf das Vorliegen einer Fehlbehandlung gegeben wird. Seit der Neuregelung im Patientenrechtegesetz im Jahre 2013 besteht dazu grundsätzlich eine ärztliche Verpflichtung, etwa im Falle entsprechender Nachfragen des Patienten oder wenn dies zu Abwehr von gesundheitlichen Gefahren erforderlich ist.
Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass es nach wie vor eine Schadenskategorie gibt, die eher selten den Weg zur Schlichtungsstelle findet und daher in den dortigen Statistiken kaum zu finden sind: Personengroßschäden. Etwa im Bereich schwerwiegendster, irreparabler Hirnschäden wie bei den Geburtsschäden oder den neurochirurgischen Sachverhaltskonstellationen machen Schlichtungsverfahren mangels Rechtsverbindlichkeit in aller Regel wenig Sinn. Gerade wo aufgrund der zu erwartenden hohen Schadenssummen, die nicht selten Forderungshöhen im Bereich von mehreren Hunderttausend oder Millionen Euro erreichen, eine reibungslose und sachangemessene Regulierung des lebenslangen Schadens nicht zu erwarten ist, werden mitunter vorrangig die Gerichte in Anspruch genommen.
Aussagekräftiges Zahlenmaterial fehlt
Während die Ärzteseite sehr exakten Einblick in die eigene Fehlerquote hat, wartet man als Patientenvertreter weiterhin vergeblich auf wirklich aussagekräftiges Zahlenmaterial, welches unverfälschte Rückschlüsse über die Behandlungsfehlerquote zulässt. Es ist davon auszugehen, dass bei der Bandbreite von 25 bis 35% eher an der oberen Grenze „operiert“ wird. Im Bereich der Geburtsschäden und anderer Personengroßschäden etwas wird aufgrund eigener Erfahrungswerte die Quote tendenziell oberhalb von 35 %, eher bei 50 – 60 % liegen. Diese Fälle spielen sich allerdings nicht selten und häufig mit gutem Grund außerhalb von Verfahren bei den Schlichtungsstellen ab.
Jan Tübben, Fachanwalt für Medizinrecht