Problemfeld Schmerzensgeld – Rückblick auf den 52. Verkehrsgerichtstag in Goslar II
Im Arbeitskreis „Problemfeld Schmerzensgeld“ ging es vorrangig um die in Deutschland üblichen Schmerzensgeldtabellen. Schmerzensgeldtabellen sind eine Sammlung von Urteilen verschiedenster Gerichte, in denen jeweils eine bestimmte Höhe an Schmerzensgeld für eine bestimmte Verletzung festgesetzt wurde und die als Orientierungshilfe in vergleichbaren Fällen herangezogen werden können. Der Arbeitskreis setzte sich zusammen aus Richtern, Anwälten und Vertretern der Versicherungswirtschaft. Vertreter von Opferverbänden, um deren Interessen es im Grunde ging, waren nicht anwesend.
Problematisch beim Schmerzensgeld ist bereits der Ansatz, denn jeder Fall ist individuell und daher eigentlich nicht mit anderen vergleichbar. Warum die Tabellen insgesamt problematisch sind, haben wir bereits in dem Beitrag Schmerzensgeld – Sinnhaftigkeit und Grenzen vom 27.1.2014 dargestellt.
Schmerzensgeldtabellen – ein Zukunftsmodell?
Die Frage, die im Arbeitskreis diskutiert wurde war, ob es sinnvoll ist, Schmerzensgeldtabellen auch in Zukunft zur Festlegung des Schmerzensgeldes heranzuziehen und ob es realistische Alternativen dazu gibt.
Konsens herrschte bei der Feststellung, dass immer der konkrete Einzelfall betrachtet werden muss und die in „vergleichbaren“ Fällen bereits ausgesprochenen Schmerzensgelder an den Einzelfall angepasst werden müssen. Darüber hinaus sind die im Laufe der Zeit vom BGH (Bundesgerichtshof) entwickelten grundsätzlichen Kriterien für die Bemessung des Schmerzensgeldes zu beachten.
Ein Blick über die Grenzen
Der Blick über den Tellerrand zeigt, dass andere (europäische) Länder nach jeweils eigenen Systemen arbeiten. In Polen beispielsweise gibt es keine konkreten Kriterien für die Bemessung des Schmerzensgeldes, auch keine vergleichbaren Entscheidungen. Wichtigste Parameter sind das Durchschnittseinkommen des Geschädigten, dessen Alter und die Dauer und Intensität der Schmerzen.
Ein solches System ist in Deutschland weder praktikabel noch durchsetzbar, denn nach der hiesigen Rechtsordnung ist es hochproblematisch, das Schmerzensgeld an das individuelle Einkommen zu knüpfen. Schmerzen können nicht mit dem Gehalt in Verbindung gebracht werden und es kann nicht angehen, dass z.B. ein DAX-Vorstand für die gleichen Verletzungen ein weit höheres Schmerzensgeld erhält als ein Arbeitsloser oder Rentner.
In England/Wales werden Präzedenz-Entscheidungen und sogenannte Personal Injury JSB-Guidelines herangezogen, die sich aus verschiedenen Faktoren wie der Art und Schwere der Verletzungen und der Folgeschäden zusammensetzen und auf nationalen Richtlinien basieren.
Auch in Österreich spielen Urteile eine untergeordnete Rolle. Dort wurde ein Tagessatzsystem entwickelt, das sich nach dem Grad der Schmerzen richtet. Für die Kategorien leichte, mittlere, starke Schmerzen gibt es pro Tag beispielsweise 100,00 €, 200,00 € bzw. 300,00 € – ein System, bei dem die Schmerzen und nicht die Verletzungen im Vordergrund stehen.
Es zeigt sich, dass es in Europa keine einheitliche Regelung gibt, doch geht die Tendenz stark in Richtung Schematisierung, wie es beispielsweise bei dem Tagessatzsystem der Fall ist. Mathematische Formeln sind eher selten anzutreffen.
Keine amerikanischen Verhältnisse bei der Schmerzensgeldhöhe
Sehr interessant wurde es bei der Diskussion der Frage, ob die Höhe der Schmerzensgelder generell angehoben werden sollte. Einigkeit bestand darin, dass amerikanische Grundsätze in Deutschland keine Vorbildfunktion haben dürfen. In den USA fallen die Schmerzensgelder bekanntlich besonders hoch aus, da es sich hier um sogenannte „punitive damages“ handelt, d.h. um Strafschadensersatz. Dieser strafrechtliche Charakter soll in Deutschland jedoch außer Acht und Sache der Strafgerichte bleiben. Eine Anhebung des Schmerzensgeldes wurde zwar begrüßt, doch dürfe die Gemeinschaft der Versicherten dadurch nicht über Gebühr belastet werden.
Die Schmerzensgeldbemessung in mathematische Formeln zu packen, würde den Blick vom Einzelfall abwenden. Die Verletzungen und deren Folgen sind sehr individuell und machen gerade den Einzelfall aus. Das derzeitige „Handwerkszeug“ für die Bemessung des Schmerzensgeldes scheint die individuellste, gerechteste und transparenteste Möglichkeit, um dem Einzelfall gerecht zu werden.
Die Entschließungen des Arbeitskreises „Problemfeld Schmerzensgeld“
- Schmerz und Leid lassen sich nicht formalisieren und daher ist auch kein Leid mit Geld auszugleichen.
- Grundsätzlich sollte das bisherigen System erhalten bleiben, um den besonderen Umständen des Einzelfalls gerecht zu werden. Dabei sollen die von der Rechtsprechung gewonnenen Maßstäbe zugrunde gelegt werden.
- Entscheidungssammlungen sollen weiterhin als Orientierungshilfe dienen, um grobe Missverhältnis bei vergleichbaren Fällen auszuschließen.
- Das derzeitige System steht der Tendenz zu einem höheren Schmerzensgeld nicht entgegen. Dennoch sollte der Blick auf andere Lösungsansätze geworfen werden, insbesondere der Blick über die Grenzen in anderen EU-Staaten.
Die Entschließungen sind in unseren Augen nicht zufriedenstellend, da (wie so oft) die Opfer nicht berücksichtigt werden, sondern die Interessen der Versicherungswirtschaft im Vordergrund stehen. Bei der Bemessung von Schmerzensgeldern darf es nicht darum gehen, was die Versicherungen bezahlen und leisten möchten, sondern darum, was denGeschädigten zusteht.