Doppelter Schulterblick: Wer ihn vergisst, haftet bei einem Verkehrsunfall voll
Beim Wechsel auf die linke Fahrspur darf ein Autofahrer sich nicht alleine auf den Blick in den Rückspiegel verlassen, sondern er muss sich vor dem Ausscheren außerdem durch einen Blick über die linke Schulter vergewissern, dass die Überholspur frei ist. Unterlässt er den doppelten Schulterblick und kommt es dadurch zu einem Unfall, haftet er voll für die Schäden. So ein aktuelles Urteil des Landgerichts Berlin vom 21.05.2012 (Az.: 8 O 21/12).
Der Fall
Der beklagte Autofahrer wechselte von der rechten auf die linke Fahrspur, um ein anderes Auto zu überholen. Dabei kam es zum Zusammenstoß mit einem von hinten kommenden Fahrzeug. Der Fahrer dieses Fahrzeugs klagte auf Schmerzensgeld und Schadenersatz. Der beklagte Autofahrer behauptete, er habe sich vor dem Spurwechsel sowohl durch den Blick in den Rückspiegel als auch über die Schulter vergewissert, ob die Spur frei sei, und er habe kein Fahrzeug bemerkt. Vielmehr habe der Kläger erst nachdem er selbst zum Überholen angesetzt habe, die Spur gewechselt und beschleunigt, damit er noch vor ihm auf der linken Fahrbahn weiterfahren konnte. Der Kläger habe den Unfall damit zumindest zur Hälfte selbst verursacht.
Der Beklagte haftet voll
Auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme gab das Gericht dem Kläger Recht. Nach Ansicht der Richter hat der Beklagte gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen, weil er den Spurwechsel vorgenommen hat, ohne zuvor durch einen Schulterblick eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Durch die Verletzung der doppelten Rückschaupflicht hat er den Unfall schuldhaft verursacht.
Doppelte Rückschaupflicht bei einem Spurenwechsel bedeutet, dass zum einen ein Blick in den Rückspiegel notwendig und zusätzlich unmittelbar vor dem Ausscheren ein Schulterblick unentbehrlich ist. Dem Kläger konnte nicht nachgewiesen werden, dass er durch Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit den Unfall mit verursacht hat.
Die bloße Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Klägers tritt nach Ansicht der Richter gegenüber dem unachtsamen Spurwechsels des Beklagten zurück. Hätte der Beklagte den Schulterblick durchgeführt, hätte er das herannahende Fahrzeug sehen müssen.
Melanie Mathis, Rechtsanwältin, Spezialistin für Unfallopfer