Vorsicht bei nicht notwendigen Operationen
In meinem Beitrag Operation mit Nebenwirkungen ging es darum, wie wichtig es ist, im Aufklärungsgespräch vor einer Operation nachzufragen, ob eine Vollnarkose wirklich notwendig ist oder ob es möglicherweise Behandlungsalternativen gibt.
Das Oberlandesgericht Hamm hat sich in einem aktuellen Urteil (Az. 26 U 3/14 vom 15. Dezember 2017) mit einem Thema beschäftigt, das sehr gut zu dem oben genannten Beitrag passt. In dem Urteil ging es um die Aufklärung über Behandlungsalternativen.
Der Senat hat entschieden, dass ein Patient umfassend über eine bestehende konservative Behandlungsalternative aufzuklären ist, wenn nur eine relative Notwendigkeit für die Durchführung eines operativen Eingriffs (relative Indikation) besteht.
Relative Indikation bedeutet, dass zwar ein Grund für eine Operation besteht, diese aber nicht zwingend notwendig ist. In der Regel gibt es Behandlungsalternativen, die ein gleich gutes oder nur geringfügig schlechteres Behandlungsergebnis erwarten lassen.
Der Fall
Der damals 59-jährige Kläger begab sich wegen jahrelanger Rückenschmerzen in eine Klinik. Dort wurde eine Verengung des Wirbelkanals der Lendenwirbelsäule festgestellt. Der behandelnde Arzt riet zu einer Operation, obwohl es eine nicht-operative Behandlungsalternative gab.
Es kam, wie es kommen musste: Die Operation verlief nicht wie gewünscht. Nach der Operation ging es dem Kläger schlechter als vorher. Er hatte unter anderem Lähmungserscheinungen in den Beinen und Füßen und war fortan auf einen Rollstuhl angewiesen.
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Arzt den Kläger über eine bestehende nichtoperative Alternative hätte aufklären müssen. Eine absolute Notwendigkeit für die Operation habe nicht bestanden. Das Gericht sprach dem Kläger daher ein Schmerzensgeld in Höhe von 75.000 Euro zu. Darüber hinaus muss der Beklagte dem Kläger den materiellen Schaden ersetzen.
Der Rechtsgedanke hinter der Entscheidung
Nach der Rechtsprechung liegt die Wahl der Behandlungsmethode grundsätzlich in der alleinigen Verantwortung des Arztes. Etwas anderes gilt, wenn mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. In diesem Fall muss der Arzt den Patienten darüber aufklären und ihm die Entscheidung über die Behandlungsmethode überlassen. Besteht, wie im vorliegenden Fall, nur eine relative Operationsindikation, muss die Aufklärung auch die Möglichkeit und die Folgen eines Zuwartens oder gar Unterlassens umfassen.
Fazit:
Aus unserer täglichen Praxis können wir bestätigen, dass der dem Urteil des OLG Hamm zugrunde liegende Fall leider kein Einzelfall ist. Es kommt sehr häufig vor, dass Patienten zu nicht notwendigen Operationen gedrängt werden, obwohl noch nicht alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Hier werden Patienten unnötigen Risiken ausgesetzt. Es empfiehlt sich daher, Vorsicht walten zu lassen und im Aufklärungsgespräch explizit nach Behandlungsalternativen zu fragen. Zudem sollte eine Zweitmeinung bei einem anderen Arzt eingeholt werden.
Sven Wilhelmy, Rechtsanwalt und Partner