TATORT – Unmenschliches Regulierungsverhalten von Versicherern
„Zeit ist unsere beste Mitarbeiterin“
Im ARD Tatort „Auge um Auge“ vom 12.11.2017 ging es um das Regulierungsverhalten von Versicherern. Die dahinterstehende Problematik wurde ohne Übertreibung auf den Punkt gebracht. Ein querschnittsgelähmter selbstständiger Unternehmer wird um seine Berufsunfähigkeitsversicherung betrogen, weil man behauptet, er könne ja schließlich noch arbeiten, er sei zu 100% erwerbsfähig. Nachdem ein Selbstmordversuch gescheitert ist, sagt die Ehefrau das Treffende: „Das wollen die doch nur!“ In der Versicherungssprache heißt dies: „Die natürliche Lösung“. Ein Mitarbeiter trifft den Kern der Sache: „Chefin, Sie wissen doch, Zeit ist unsere beste Mitarbeiterin“.
Ein Fall aus unserer anwaltlichen Praxis
In unserer Kanzlei erleben wir seit Jahrzehnten den Niedergang des anständigen Verhaltens vieler Versicherer bei der Schadensregulierung.
Ein Fall hat mich besonders betroffen gemacht. Der Mandant kam vor ca. eineinhalb Jahren zu uns. Vor 42 Jahren hatte er einen Unfall und kämpfte seither mit der Versicherung. Unzählige Rechtstreite wurden geführt, die der Kläger durch die Instanzen gewonnen hat.
Nach 42 Jahren erhält der Mandant Besuch von einem unbekannten Mann, der sich als Mitarbeiter der Versicherung vorstellt. Er habe den Auftrag, endlich einmal die Wohnung zu besichtigen, um zu prüfen, wie man diese behindertengerecht umbauen kann. Der Mitarbeiter zeichnet alles per Foto und Video auf und statt eines Vorschlags, wie der Umbau sich gestalten könne, erhält der Mandant die Mitteilung der Versicherung, dass diese alle weiteren Zahlungen einstellt. Der Besuch des Detektivs habe ergeben, dass er nicht pflegebedürftig sei und auch kein Haushaltsführungsschaden bestehe.
Diese Vorgehensweise des Versicherers hat anschließend hohe Wellen geschlagen. Das Landgericht und das zuständige Oberlandesgericht haben auf unseren Antrag hin einstweilige Verfügungen erlassen, wonach die Versicherung weiter zahlen musste. In außergerichtlichen Verhandlungen hat die Gegenseite zunächst 200.000 € und nach Einschalten des Vorstandes der Versicherung und erneuten Verhandlungen 1 Mio € gezahlt.
Der Gesetzgeber ist gefordert
Dieses Verhalten einer Versicherung ist leider keine Seltenheit, sondern wird mehr und mehr zur Regel.
Die Gerichte sind zwar gehalten, ein solch unmenschliches und gesetzeswidriges Verhalten durch die deutliche Erhöhung des Schmerzensgeldes zu sanktionieren. Doch das geschieht leider nur sehr selten. Der Gesetzgeber könnte diesem Treiben der Versicherer sehr schnell ein Ende machen. Er könnte für den Fall einer verzögerten Schadensregulierung, die zu einem Prozess führt festlegen, dass die letztendlich zu zahlende Summe mit 15 oder 20 % zu verzinsen ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass dies auch zu einer immensen Entlastung der Justiz beitragen würde. Prozesse würden dann kaum noch geführt.
Zur Ehrenrettung einiger weniger Versicherer möchte ich noch festhalten, dass etwa eine Handvoll sich korrekt verhält. Hier wird zwar auch kein Geld verschenkt, doch ein fähiger und spezialisierter Anwalt kann hier faire und gute Ergebnisse erzielen.
Mich persönlich wundert es sehr, dass sich ein Geschädigter nur selten zur Wehr setzt. Die Geschädigten sollten sich zusammentun und aufschreien gegen das Unrecht, das ihnen geschieht. Dass dies nicht passiert, liegt wohl daran, dass die meisten Schwerstgeschädigten dazu physisch und psychisch nicht in der Lage sind oder bereits resigniert haben.
Statt mit immer billigeren Versicherungsprämien zu werben, sollte die Versicherungswirtschaft einmal überlegen, ob nicht auch eine adäquate und korrekte Schadensregulierung eine gute Werbung darstellt, selbst wenn damit eine Erhöhung der Versicherungsprämien einhergeht. Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit aller Versicherten höhere Prämien zahlen würde, wenn damit eine korrekte Entschädigung sichergestellt wäre.
Schließlich, und das wird gerne vergessen, es kann Sie oder Ihre Lieben jede Sekunde treffen.
Martin Quirmbach, Experte für Arzthaftungsrecht / Gründungspartner, Namensgeber und seit 2018 Berater der Kanzlei