Stark in Krisen – kann man das lernen?
Ist psychische Widerstandskraft in Krisen etwa selbstverständlich? Kann Krisenbewältigung erworben und gelernt werden? Ist sie ein Geheimnis, zu dem jeder von uns den Schlüssel selbst in der Hand hat? Oder ist es eher die Normalität, dass wir uns bei Schicksalsschlägen schwach und ausgeliefert fühlen?
Was macht stark, wenn es darauf ankommt?
Dieser Frage ist Christina Berndt in ihrem sehr spannenden Buch „Resilienz – Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft“ (dtv 2015) nachgegangen. Sehr erstaunlich und überraschend war für mich, dass einige Betroffene in extrem belastenden Lebenssituationen diese nach einiger Zeit sogar als sinnhaft erlebten. Vom Schicksal zugemutete, nicht beeinflussbare und schmerzhafte Veränderungen brachten etwas vorher Ungeahntes in diesen Menschen hervor – sei es ihre Liebe, ihre Fürsorge, ihre Willenskraft, ihre Spiritualität – und das half ihnen, trotz der widrigen Umstände wieder in ein Leben mit vielen glücklichen Momenten zurückzufinden.
Lebensschicksale
Christina Berndt berichtet über eine Reihe von sehr ergreifenden Beispielen. Burn-Out, Geißelnahme, Missbrauch, traumatische Vertreibung aus der Heimat, schwerste körperliche Schädigungen, Verlust von Nahestehenden – alles mutet das Schicksal Menschen zu. Frau Berndt erzählt Geschichten, die ergreifend sind und Respekt und Bewunderung für die Kraft dieser Menschen in mir auslösen. Natürlich sind das Ausnahmeerscheinungen und nicht die Normalität, was das Schicksal und dem Umgang damit betrifft.
Vorsicht ist geboten. Wir sollten nicht von uns selbst erwarten, dass wir das ebenso können; und wir sollten auch nicht von betroffenen Angehörigen etwas Ähnliches erwarten. Jeder Schicksalsschlag, jede schwere Erkrankung wirft dich zunächst aus der Bahn. Daran gibt es nichts zu rütteln, und das muss man sich selbst und jedem zugestehen. Alles gerät in eine Schieflage und dein Leben ist plötzlich ein anderes, so wie du es nicht gewollt hast. Erst im Laufe der Zeit findet jeder seinen ganz persönlichen Weg. Das kann eine lange Strecke von Trauer und Leid sein, was jeder nachvollziehen kann; und es ist auch durchaus möglich, trotz allem irgendwann die eigene psychische Widerstandkraft wiederzufinden.
An diesem Punkt können Vorbilder zu eigenem Handeln und Umdenken inspirieren und einem den Rücken stärken. Die Betonung liegt auf: sie können – denn nicht alle schaffen diesen Schritt, sich stärken zu lassen, und auch das ist absolut menschlich. Es gibt keine einfachen Verhaltensmuster, es gibt keine Garantien und keine einfachen Wege. Jeder Mensch ist anders. Glücklich können sich diejenigen schätzen, die sich auf ihre Stärken besinnen und sie nutzen wollen, um ihrem Schicksal die Stirn zu bieten und sich nicht unterkriegen zu lassen.
Resilienz
Resilienz – das Wort bezeichnet unterschiedlichste Faktoren, die uns Menschen für Krisen stark machen können. Ohne Zweifel hat jeder Mensch psychische Widerstandkraft, wir alle werden damit geboren. Schon sehr früh lernen wir, wieder aufzustehen, wenn wir hinfallen, und nicht aufzugeben, wenn etwas nicht beim ersten Mal klappt. Wo eine unterstützende Bezugsperson uns noch Mut dazu macht, sind die Weichen in die Richtung einer stabilen psychischen Stärke gestellt.
Sind wir erwachsen, stärkt uns das Wissen über Möglichkeiten guter Krisenbewältigung weiter den Rücken. Wir lernen widerstandfähiger und in diesem Sinne lebenstüchtiger zu werden. Und diese Eigenschaften brauchen wir alle, denn Krisen und Rückschläge kommen in jedem Leben vor, ob wir wollen oder nicht.
Optimisten leben besser
Ein Patentrezept gibt es nicht, doch Christina Berndt stellt fest: Optimismus ist eine grundlegend unterstützende Eigenschaft, und Optimisten sind die widerstandfähigeren Zeitgenossen. Zahlreiche, unterschiedlichste Untersuchungsreihen von Wissenschaftlern bestätigen, dass diejenigen einen Fuß in der Tür zu einem insgesamt (psychisch und physisch) gesünderen Leben haben, die Stress, Sorgen, Enttäuschungen, Fehler und alle anderen kleineren und größeren Katastrophen nicht allzu lange allzu ernst nehmen, sondern ihnen optimistisch, mit Humor und einem guten Maß an Gelassenheit begegnen können. Das heißt auch: dazulernen – lerne Schicksal, Rückschläge, Niederlagen und Frustrationen anzunehmen. Wir müssen erkennen, dass vieles eben nicht in unserer Macht steht. Doch es macht sehr viel Sinn, sich auf das zu konzentrieren, was wir tatsächlich ändern können und dann, wenn sonst nichts mehr geht, es mit etwas Humor zu würzen.
Den Fokus verändern
Wenn das Schicksal uns Unabänderliches zumutet, heißt es zunächst, das anzunehmen. Es wäre aber fatal, fortan nur noch diesen Fokus im Leben zu haben, das würde alles lähmen. Selbst etwas tun, und sei es auch nur ein noch so winziger Schritt, führt weiter; es ist allemal besser, etwas Geringes zu bewirken, als im An- und Beklagen stecken zu bleiben. Der kleine Schritt heraus aus der Opferrolle, hin zu der Person, die ihren Beitrag leistet, erhält die eigene Handlungsfähigkeit. Und ich denke, dass kann wieder zum Kontakt mit dem Gefühl führen, das wir als Hoffnung kennen.
Hoffnung schwingt mit
Hoffnung zu haben heißt, daran zu glauben, dass es am Ende eines Tunnels doch irgendwie auch Licht geben muss, selbst wenn man gerade im Dunkeln tappt. Wer glaubt, dass alles letztlich doch für irgendetwas gut sein muss, kommt im Nachhinein besser klar. Gerade die am schwersten Betroffenen, so belegen die Studien, finden irgendwann Sinn in ihrem Schicksal und halten sich daran fest, dass sie nicht umsonst gelitten haben. Nach vorne zu sehen und trotz aller Widrigkeiten glücklich sein zu wollen, ist vor allem auch eine persönliche Entscheidung. Um in dem Bild zu bleiben, das ist so ähnlich, als ob man im Dunkeln eine Kerze anzündet.
Vertraue auf deine Selbstwirksamkeit
Selbst aktiv werden heißt, eine Entscheidung treffen! Du machst etwas mit der Situation, nicht nur die Situation etwas mit dir. Die Erfahrung und das Vertrauen, dass eigene Entscheidungen und beherztes Handeln Konsequenzen haben, sind starke Helfer und unterstützen uns dabei, nicht aufzugeben, sondern weiterzumachen. Statt aufzugeben, entscheiden wir uns weiterzugehen und bestimmen dadurch zumindest in kleinen Schritten die Richtung mit, die das Leben nimmt.
Tragende Pfeiler
Akzeptanz, Hoffnung, Humor und Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit sind tragende Pfeiler psychischer Widerstandskraft. Das wird einem nicht nur in die Wiege gelegt, es ist auch nötig – und möglich!! -, diese Eigenschaften zu stärken und sie sich selbst zu erarbeiten. Die innere Haltung einer optimistischen Lebenseinstellung und die positive Sicht auf eigene Möglichkeiten und Fähigkeiten, mit Krisensituationen umzugehen, sind hierbei grundlegend förderlich.
Kenne deine Stärken
Klar im Vorteil ist, wer seine Stärken kennt. Glaubt man den Forschungsergebnissen, dann braucht es nicht unbedingt ganz bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen – wie beispielsweise Fröhlichkeit, Neugier, Flexibilität, Enthusiasmus, Dankbarkeit, Beziehungsfähigkeit, Selbstfürsorge. Das alles hilft natürlich, aber entscheidend kommt es darauf an, vorhandene Stärken aktiv zu nutzen. Nach den Erkenntnissen des Gesundheitspsychologen Ralf Schwarzer ist „Stärke … immer eine Kombination von vielen Faktoren.“
Was die Psyche widerstandsfähiger macht, ist auch die Verbindung mit seinen guten Erfahrungen, mit Erinnerungen an Krisen, die wir aus eigener Kraft bewältigt haben. Das mobilisiert Selbstvertrauen und die mitschwingende Hoffnung motiviert, auch jetzt nicht aufzugeben. Welche Stärken man einsetzen kann, ist dabei zweitrangig, so scheint es. Was zählt ist, nicht der negativen Abwärtsspirale Nahrung zu geben, sondern durch die Verbindung mit eigenen Fähigkeiten eine positive Aufwärtsspirale in Gang zu bringen. – Das Licht am Ende des Tunnels blitzt auf.
Fragen und Antworten
Kenne ich meine Stärken? Worin bin ich besonders gut? Wie habe ich früher bereits Krisen erfolgreich gemeistert? Was macht mich psychisch stark? – Solche und ähnliche Fragen sollten wir uns öfter stellen, damit wir im Ernstfall unsere besten Eigenschaften bewusst einsetzen können. Vertrauen in eigene Fähigkeiten schafft Selbstbewusstsein, das wiederum kommt der eigenen Flexibilität in Krisenzeiten zugute, so sagen die Forscher.
Ich habe, ich bin, ich kann
Die Professorin für Sozialarbeit, Brigid Daniel, hält diese drei Überzeugungen für die Grundbausteine resilienter Persönlichkeiten: „Ich HABE Menschen, die mich gern haben und mir helfen. Ich BIN eine liebenswerte Person und respektvoll mir und anderen gegenüber. Ich KANN Wege finden, Probleme zu lösen und mich selbst zu steuern.“
Das fällt niemandem in den Schoß. Zugegeben, manchen mag diese Lebensphilosophie näher sein als anderen, doch in der Hauptsache sind alle drei Bausteine mit Arbeit an sich selbst verbunden und mit dem Wunsch, eine solche Persönlichkeit werden zu wollen. Diese Verantwortung nimmt uns niemand ab.
„Humor ist mein Regenschirm“
Das war Erich Kästners Weg. Ich meine in dem Zitat auch zu lesen, dass es einen willigen und starken Arm braucht (manchmal auch zwei), um diesen leichten Regenschirm den schweren und stürmischen Regengüssen entgegenzuhalten. Das müssen, wenn es ganz schlimm ist, nicht die eigenen Arme sein; doch lohnt es sich, für ein gesünderes und glücklicheres Leben, mit beidem – mit seinem Willen und seiner Stärke – in Verbindung zu bleiben.
Konstanze Quirmbach, Gestalttherapeutin