Keine doppelte Aufklärungspflicht beim Kaiserschnitt
Der Bundesgerichtshof hat sich in seiner Entscheidung vom 28.10.2014 (Az. VI ZR 125/13) mit der Frage der Aufklärungspflichten eines Arztes gegenüber einer Schwangeren vor und während der Geburt befasst. Er stellte fest, dass eine erneute Aufklärungspflicht des Arztes nur dann besteht, wenn sich die Risikolage im Verlauf der Geburt ändert.
Der Fall: Komplikationen und Notkaiserschnitt bei vorzeitiger Geburt
Die Mutter des Klägers wurde im Januar 2005 wegen vorzeitiger Wehen in das von der Beklagten betriebene Krankenhaus eingeliefert. Zuvor hatte sie wiederholt an Nierenbeckenentzündungen gelitten, außerdem wurden bei ihr ein Schwangerschaftsdiabetes und ein beidseitiger Nierenstau festgestellt. Die Entzündungswerte waren deutlich erhöht.
Im Februar 2005 kam es zu einem vorzeitigen Blasensprung. Die Wehenmittel wurden abgesetzt und ein Wehentropf unter ständiger CTG-Kontrolle (Kardiotokographie: Messung der Herztöne des Kindes, Messung der Wehentätigkeit der Mutter) angeschlossen. Entsprechend dem Wunsch der Mutter leiteten die Ärzte die vaginale Geburt ein. Kurze Zeit später stellten die Ärzte auffällige Herztöne des Kindes fest und entschieden sich für einen Notkaiserschnitt. Das Kind musste nach der Geburt wiederbelebt werden und trug einen schweren Hirnschaden sowie eine schwere körperliche Behinderung davon.
Unzureichende Aufklärung als Vorwurf
Die Klage gegen das Krankenhaus wurde damit begründet, dass die Mutter nicht ausreichend über die Möglichkeit einer Kaiserschnittentbindung aufgeklärt worden sei und vor Einleitung der Geburt keine erneute Aufklärung über diese Entbindungsmethode stattgefunden habe.
Oowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht gaben dem Kläger Recht. Das Oberlandesgericht bejahte eine Haftung des Krankenhauses wegen unzureichender Aufklärung der Kindesmutter über die Möglichkeit einer Kaiserschnittentbindung. Zwar sei die Mutter zu Beginn der Behandlung über die grundsätzliche Möglichkeit einer Kaiserschnittentbindung aufgeklärt worden, doch habe der Blasensprung eine erneute Aufklärungspflicht der Beklagten ausgelöst, weil sich dadurch die Risikolage verändert habe.
Der Bundesgerichtshof hat dem widersprochen und ausgeführt, dass allein der Blasensprung noch keine erneute Aufklärungspflicht des Arztes auslöse und die Situation in Kenntnis des Gesundheitszustandes der Mutter bis zum Blasensprung und bei Einleitung der vaginalen Geburt unverändert gewesen sei. Entscheidend für die Frage einer erneuten Aufklärungspflicht des Arztes sei vielmehr, ob sich im weiteren Verlauf der Geburt eine veränderte Risikosituation ergeben habe.
Ständige Rechtsprechung zur Aufklärungspflicht bei Behandlungsalternativen
Der Bundesgerichtshof verwies auf seine ständige Rechtsprechung (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 22. September 1987, Az. VI ZR 238/86), wonach eine Aufklärung über eine Behandlungsalternative dann erforderlich ist, wenn mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (hier: vaginale/natürliche Geburt bzw. Kaiserschnittentbindung), die zu unterschiedlichen Belastungen der Patientin führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten.
Erneute Aufklärung nur bei veränderter Risikosituation während der Geburt
Übertragen auf den vorliegenden Fall ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs folgendes: Die Aufklärung der Kindesmutter war vor Einleitung der Schnittentbindung unter Berücksichtigung beider Entbindungsalternativen ordnungsgemäß erfolgt. Eine erneute Aufklärung der Schwangeren über die Möglichkeit einer Kaiserschnittentbindung ist grundsätzlich nicht erforderlich, wenn sich die bereits bei der ersten Aufklärung bekannte Risikolage verwirklicht.
Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn im weiteren Verlauf der Geburt Entwicklungen eintreten, die eine Neubewertung der verschiedenen Entbindungsmethoden und der damit verbundenen Vor- und Nachteile erforderlich machen. „In einem solchen Fall hat der Arzt die Schwangere zur Wahrung ihres Selbstbestimmungsrechts und ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit über das veränderte Nutzen-Risiko-Verhältnis, etwa über nachträglich eingetretene oder erkannte Risiken der von ihr gewählten Entbindungsmethode, aufzuklären und ihr eine erneute Abwägung der für und gegen die jeweiligen Behandlungsalternativen sprechenden Gründe zu ermöglichen“.
Der Bundesgerichtshof hat beanstandet, dass die Vorinstanzen bislang keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen haben, ob im Verlauf der Geburt eine Änderung der Risikosituation eingetreten ist, und die Sache deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
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