Organisationsverschulden: Ökonomie versus Menschlichkeit
Am vergangenen Dienstag hat die zweite Zivilkammer des Landgerichts Mainz das Urteil in einem Arzthaftungsprozess verkündet. Klägerin war eine Patienten, die nach einer Operation ins Wachkoma gefallen ist. Beklagt waren eine Privatklinik, deren Leiter und Operateur sowie eine Medizinstudentin.
Der Fall: Die Klägerin sollte nach einer Operation in Vollnarkose noch ein bis zwei Tage in der Privatklinik bleiben, in der sie operiert worden war. Einzige Nachtwache in der Abteilung war eine Medizinstudentin im 10. Semester. Nachdem die Klägerin sich mehrfach übergeben hatte, schaute die Studentin in die Medikamentenliste des Anästhesisten und fand dort nicht nur ein Medikament gegen Übelkeit, sondern auch den Eintrag „Infusionsreste aus OP i.v.“.
Sie entschied sich, die angebrochene Infusion zu verabreichen, die ein Etikett mit der Aufschrift „NaCl“ trug. In der Flasche befand sich jedoch nicht nur die Kochsalzlösung, sondern auch ein Narkosemittel. Daraufhin kam es bei der Klägerin zu einem Atem- und Kreislaufstillstand. Der herbeigerufene Notarzt konnte sie zwar reanimieren, doch liegt die Klägerin seitdem mit irreversiblen Hirnschäden im Wachkoma.
Urteilsbegründung „Organisationsverschulden“
Der Urteilsbegründung liegt u.a. ein Organisationsverschulden zu Grunde. Strukturelle Probleme in der Organisation der Klinik, so das Gericht, hätten die Fehler bei der Nachbehandlung verursacht.
Zu den Pflichten eines Krankenhauses gehört die Bereitstellung ausreichender personeller und infrastruktureller Ressourcen. Die ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeiter müssen sorgfältig ausgewählt, angelernt und überwacht werden. Der ärztliche und pflegerische Standard muss eingehalten werden.
Es steht außer Frage, dass eine Medizinstudentin nicht dem Fachpersonal angehört. Sie wurde mit der Klägerin alleine gelassen. Von ausreichenden personellen Ressourcen kann hier nicht die Rede sein. Der erforderliche Standard wurde nicht eingehalten.
Wie kann es überhaupt zu solch weitreichenden Fehlern kommen?
Die Antwort ist, dass, um Kosten zu senken, immer mehr Personal eingespart wird. Nach der Devise „sparen, sparen, sparen …“ werden kompetente Fachkräfte durch kostengünstigere Aushilfskräfte ersetzt. Die Gesundheit des Menschen und ein Menschenleben scheinen kaum noch einen Wert zu haben. Die Sparmaßnahmen stehen im Vordergrund. Der Leidtragende ist hier einzig und allein der Patient, der dieser Gesundheitspolitik gnadenlos ausgeliefert ist.
Hier muss sich dringend etwas ändern und die Politik ist aufgerufen, dem Profitdenken der Gesundheitskonzerne einen Riegel vorzuschieben. Es liegt auf der Hand, dass immer mehr Fehler passieren, weil am Personal sowohl qualitativ als auch quantitativ gespart wird – Fehler, die die Volkswirtschaft Millionen, wenn nicht Milliarden kosten.