Notfall-Kaiserschnitt in weniger als sechs Minuten?
Die Nichteinhaltung der E-E-Zeit ist seit vielen Jahren Gegenstand zahlreicher Arzthaftungsprozesse. Die E-E-Zeit ist die nach fachärztlichem Standard akzeptable Zeit zwischen der Entscheidung (E) für einen Notfallkaiserschnitt (Notsectio) und der Entwicklung (E) des Kindes. Ein Notfallkaiserschnitt ist eine Schnittentbindung, die im Rahmen einer lebensbedrohlichen Situation für Mutter und/oder Kind durchgeführt wird.
Bei der Bearbeitung unserer Geburtsschadensfälle stoßen wir immer wieder auf Konstellationen, in denen die Geburtssituation im Kreißsaal mal mehr, mal weniger rechtzeitig einen Notfallkaiserschnitt indiziert. Wenn dies der Fall ist, tickt die Uhr: Nach Ausrufung der Notsectio muss das Kind innerhalb von 20 Minuten entbunden werden.
Nachdem sich die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) in einer entsprechenden Empfehlung bereits für eine E-E-Zeit von 10 bis 20 Minuten ausgesprochen hat, ist die Tendenz zu beobachten, dass z.B. Sachverständige in Geburtsschadensprozessen sehr kulant mit einer Überschreitung dieser Vorgabe umgehen.
Risiken bei der Einleitung einer Notsectio
Jede Sekunde, jede Minute, die das potenziell gefährdete Kind länger im Mutterleib verbleibt, birgt die Gefahr irreparabler Schäden oder sogar des Todes des Kindes. Der Sauerstoffmangel gilt als die sogenannte gemeinsame pathophysiologische Endstrecke der kindlichen Notlage, unabhängig von ihrer Ursache. Ziel ist es, diese Notfallsituation so schnell wie möglich zu beenden, da die Gefahr bleibender Schäden für das Kind mit der Dauer der Notfallsituation zunimmt (Time means brain). Der Fötus kann diesen Zustand zunächst durch eine sogenannte Sparschaltung und Aktivitätsreduktion überbrücken. Sind diese Bewältigungsmechanismen jedoch erschöpft, kommt es zu einer Übersäuerung des Blutes und schließlich zu irreversiblen Schäden. Die Wahrscheinlichkeit irreversibler Schäden steigt mit der Dauer und Schwere des Sauerstoffmangels.
Ablauf und Management einer fetalen Notfallsituation
Der Ablauf gliedert sich leitliniengerecht in die folgenden 14 Abschnitte:
- Beginn der fetalen Notfallsituation
- Auftreten klinischer Symptome (z.B. im CTG)
- Erkennen der Symptome
- Überprüfung der Symptome auf Bedeutung, Tendenz, Dauer oder Verlauf ggf. Benachrichtigung des Oberarztes
- Entscheidung zur Notfall-Sectio
- Alarmierung der Teams
- Vorbereitung der Patientin
- Bereitstellung der Instrumente und Anästhesiegeräte
- Transport der Patientin zum Operationssaal
- Waschen und Umziehen des Teams
- Desinfizieren und Abdecken der Patientin
- Beginn der Narkose
- Beginn der Operation
- Entwicklung des Kindes
Einschlägige Studien haben gezeigt, dass die E-E-Zeit von 20 Minuten für die Mehrzahl der Patientinnen durch organisatorische Maßnahmen erreicht werden kann. Dies führte zu der Forderung, eine E-E-Zeit von 20 Minuten sicherzustellen (DGGG 1992). Durch organisatorische Maßnahmen wie Rufbereitschaft, adäquate Vorbereitung der Gebärenden und Operationsmöglichkeit im Kreißsaal kann eine weitere Verkürzung der E-E-Zeit angestrebt werden.
Notkaiserschnitt in sechs Minuten
Besonders spannend ist in diesem Zusammenhang, dass viele Kliniken bestrebt sind, die Anstrengungen zur weiteren Verkürzung der E-E-Zeit zu intensivieren: Notkaiserschnitt in sechs Minuten.
Das ist ein erstrebenswertes Ziel. Denn die Situation eines ungeborenen Kindes – etwa nach einem Uterusriss – ist mit der eines Ertrinkenden vergleichbar: Mit jeder Minute, die der Ertrinkungszustand andauert, sinkt die Hoffnung auf ein unbeschadetes Überleben oder eine erfolgreiche Reanimation. Die Leitlinie macht deutlich, dass durch eine Optimierung der Abläufe und der Kommunikation in den meisten Fällen eine deutliche Verkürzung der E-E-Zeit erreicht werden kann. Der Nutzen für das Kind ist unschätzbar.
Bestrebungen aus der Fachwelt, die sich sogar für eine Verlängerung der E-E-Zeit aussprechen, erscheinen anachronistisch und überholt, da sie in keiner Weise mit der fortschreitenden Modernisierung und Professionalisierung und nicht zuletzt auch mit der Zentralisierung der Geburten und der Kreißsaalorganisation in Einklang zu bringen sind.
REDAKTION GEBURTSSCHADENSRECHT
Wir sind spezialisiert auf die Bearbeitung von Geburtsschadensfällen.
Mit langjähriger Erfahrung und fundiertem Fachwissen setzen wir uns engagiert für die Rechte von Familien ein, deren Kinder durch Geburtshilfefehler geschädigt wurden. Unsere Expertise umfasst die umfassende rechtliche Beratung, die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen und die Begleitung durch komplexe medizinrechtliche Verfahren. Vertrauen Sie auf unsere Kompetenz und Sensibilität in dieser besonders anspruchsvollen Rechtsmaterie.