Mithaftung von Ärzten bei fehlerhafter Befunderhebung und Diagnose
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat am 4.12.2015 – Az. 26 U 33/14 entschieden, dass eine nicht erkannte Kreuzbeinfraktur einen groben ärztlichen Behandlungsfehler dargestellt und eine Haftung von mehreren behandelnden Medizinern begründet. Die Berufung der beiden beklagten Ärzte blieb damit erfolglos. Das Urteil des OLG Hamm ist allerdings noch nicht rechtskräftig, sondern beim BGH anhängig.
Der Fall: Die Klägerin zog sich bei einem Sturz eine Steißbeinfraktur zu. Sie begab sich in Behandlung, doch der Arzt diagnostizierte nur einen Knochenhautreizzustand in der Steißbeinspitze und behandelte die Klägerin mit mehreren Infiltrationen. Da sich die Beschwerden nicht besserten, wäre im weiteren Verlauf zwingend – so der gerichtliche Sachverständige – eine weitergehende bildgebende Diagnostik erforderlich gewesen.
Befundungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft
Dies hatte der beklagte Arzt jedoch unterlassen. Seitens des Gerichtes wurde dies als grober Befunderhebungsfehler klassifiziert. Sowohl die Vorinstanz als auch das OLG haben ausgeführt, dass der behandelnde Arzt das Ziel der Behandlung, nämlich der Heilung des Patienten, nur dann erreichen könne, wenn er die Ursache der Beschwerden hinreichend sicher ermittle. Es ist jedoch absolut unverständlich, wenn er grundlegende, zum absoluten Standard gehörende und sich einem Facharzt geradezu aufdrängende Befundungsmöglichkeiten nicht ausschöpft, weil er sich frühzeitig auf eine vermeintliche Ursache festlegt.
Zudem war die durchgeführte Infiltrationstherapie, die für die Klägerin sehr schmerzhaft gewesen ist, bei einer Steißbeinfraktur sogar kontraindiziert.
Das Wohl des Patienten ist oberstes Gebot
Auch der zweite Arzt, den die Klägerin im weiteren Verlauf aufsuchte, haftet für die dort stattgefunden fehlerhafte Behandlung und den daraus resultierenden Gesundheitsschäden. Während der Behandlung wurde ein MRT der Lendenwirbelsäule und des Iliosakralgelenkes angefertigt. Danach wurde die Klägerin erneut mit mehreren Injektionen behandelt. Sowohl das Landgericht wie auch das OLG kommen zu dem Ergebnis, dass die nach der Auswertung des MRT gestellte Diagnose fehlerhaft war. Auf dem MRT seien dringend frakturverdächtige Befunde zu sehen. Auch die später zur Kontrolle der Lage der Injektionsnadel angefertigten CT-Aufnahmen seien fehlerhaft bewertet worden. Der Frakturspalt sei erkennbar gewesen und hätte auch erkannt werden müssen. Dies gelte auch dann, wenn die Aufnahmen lediglich zur Kontrolle der Lage der Nadeln für die Infiltrationsbehandlung angefertigt worden seien. Denn auch Zufallsbefunde, die sich im Rahmen der Befundung erkennbar aufdrängen, müssen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung berücksichtigt werden. Das Wohl des Patienten ist oberstes Gebot und verpflichtet den Arzt zur Einhaltung der berufsspezifischen Sorgfalt, auch wenn die Untersuchung primär anderen Zwecken dient. Gewonnene Erkenntnisse dürfen vom Arzt nicht ignoriert werden. Die Behandlung des zweiten Arztes wurde von den Gerichten daher ebenfalls als grob fehlerhaft bewertet.
Die Diagnose Kreuzbeinfraktur wurde erst im sehr viel späteren Behandlungsverlauf gestellte Zudem hatte sich die Klägerin im Laufe der Behandlung mit dem Staphylococcus aureus Bakterium (MRSA) infiziert.
Da bei beiden Beklagten nicht auszuschließen sei, dass die jeweils in ihrem Verantwortungsbereich durchgeführten Injektionen diese erhebliche Infektion der Klägerin bewirkt hätten, seien die daraus resultierenden Folgeschäden beiden Ärzten zuzurechnen. Es bleibt nunmehr abwarten, wie der BGH hier entscheiden wird.