Komplizierte Bedingungen in der Geburtshilfe
„Wozu ich gezwungen werde, ist gefährlich.“
sagt Hebamme Kati in einem Bericht auf SPIEGEL ONLINE (bento) vom 23. Dezember 2017.
Hoffnungslos überlastet, unterbezahlt und im Stich gelassen: Das ist der berufliche Alltag von Hebammen, aber auch von Ärzten und Pflegepersonal in Kliniken. Es ist ein nicht vertretbarer und unhaltbarer Zustand, wenn eine Hebamme bis zu einem Dutzend oder mehr Geburten gleichzeitig betreuen muss.
Die Geburt – der schwierigste Abschnitt im Leben
Nicht umsonst heißt es: Die Geburt ist der schwierigste Abschnitt im Leben eines Menschen. Hier geht es oft um Sekunden. Kommt es z.B. vor oder während der Geburt wegen mangelnder Blutzufuhr zu einer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns, sind schwere und schwerste Schäden die Folge. Die betroffenen Kinder sind oft blind, gehörlos und nicht in der Lage, sich zu bewegen. Eine Katastrophe, deren Tragik man mit Worten kaum beschreiben kann. In einem solchen Moment des Schocks steht für die betroffenen Eltern die Zeit still. Und erst wenn sich der Schockzustand nach und nach löst, wird das ganze Ausmaß dieser Katastrophe deutlich. Das bisherige Leben der Eltern ist vorbei, es beginnt ein neuer Zeitabschnitt, der bis zum Lebensende reicht.
Manche Eltern sind einer solchen Situation nicht gewachsen, was niemals zu verurteilen ist. Die meisten Eltern jedoch entwickeln eine besondere Beziehung zu ihrem Kind. Eine Beziehung, die berührend liebevoll und innig ist. Für diese Eltern ist es besonders schwer zu verkraften, wenn die Behinderung des Kindes nicht schicksalshaft, sondern vermeidbar war. Vermeidbar, weil im entscheidenden Zeitpunkt keine professionelle Hilfe zur Stelle war.
Geburtsschäden – eine Folge der Personalunterversorgung
Die Vertretung geburtsgeschädigter Kinder und deren Eltern bildet einen Schwerpunkt unserer anwaltlichen Tätigkeit. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass ein Großteil, wenn nicht sogar die meisten aller Geburtsschadensfälle eine Folge der Personalunterversorgung in den Kliniken ist.
Klinikleitung und Politiker als die eigentlich Verantwortlichen weisen jede Verantwortung zurück und oft soll die Hebamme die Schuldige sein. Aufgrund der hohen Zahl von Geburtsschäden und der Tatsache, dass schwergeschädigte Kinder meist eine normale oder fast normale Lebenserwartung haben, der Schaden also in die Millionen geht, können Hebammen ihre Versicherungsprämien nicht mehr zahlen – 7600 € jährlich, wie Kathi sagt. Dies alles ist sicher kein Anreiz, den Beruf der Hebamme zu erlernen.
Krankes Gesundheitssystem
Da die Situation im Pflegebereich und auch bei den Klinikärzten ähnlich ist (hoffnungslos überlastet, unterbezahlt und im Stich gelassen), dreht sich die Spirale weiter abwärts. Immer mehr Behandlungsfehler und immer mehr Geburtsschäden sind eine Folge dieses Systems, das auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist. Der Gesetzgeber will es so und privatisiert das Gesundheitssystem weiter. Über den Schienenverkehr und auch noch über Teile des Postwesens hält der Staat seine Hand. Doch die Verantwortung für das Leben und die Gesundheit seiner Bürger gibt er an Konzerne und Firmen ab, deren einziges Ziel die Gewinnmaximierung ist. Dies wird erreicht mit Personalabbau und der Ausbeutung des verbliebenen Personals bis an die Leistungsgrenze und darüber hinaus. Eine weitere Folge ist die Einstellung von mehr und mehr ausländischen Ärzten und Pflegepersonal. Immer wieder sehen wir Fälle, in denen es zu schweren Gesundheitsschäden kommt oder Patienten auch sterben, weil diese Klinikmitarbeiter der deutschen Sprache nur bedingt mächtig sind.
All dies ist bekannt und offenbar auch gewollt. Dabei hat gerade der Staat (und damit seine Politiker) die Pflicht, für eine funktionierende und optimale Versorgung der Bevölkerung im Bereich des Gesundheitswesens zu sorgen. Der Staat hat hier eine Garantenpflicht. Dieser Pflicht kommt er nicht nach.
Grundsätzlich erscheint an dieser Stelle der Staatsanwalt. Warum er in all den Fällen nicht ermittelt, in denen das bestehende Gesundheitssystem verantwortlich ist für schwerste Gesundheitsschäden und den Tod von Patienten, ist eine interessante Frage. Versagt vielleicht an dieser Stelle das System der Gewaltenteilung?
An der Situation, auch der von Hebamme Kati, wird sich nichts ändern, wenn die Betroffenen sich nicht zur Wehr setzen und/oder mutige Staatsanwälte und Richter die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.
Martin Quirmbach, Experte für Arzthaftungsrecht / Gründungspartner, Namensgeber und seit 2018 Berater der Kanzlei