Zu viele Krankenhäuser? Kommentar zur Klinikstudie der Bertelsmann-Stiftung
In Deutschland gibt es zu viele Krankenhäuser. Eine starke Verringerung der Klinikanzahl von aktuell knapp 1.400 auf deutlich unter 600 Häuser würde die Qualität der Versorgung für Patienten verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal mildern.
Mit diesen Worten beginnt die Bertelsmann-Studie zum Thema „Zukunftsfähige Krankenhausversorgung“, die in diesen Tagen ein gewaltiges mediales Echo nach sich zieht.
Weniger Krankenhäuser = bessere Versorgungsqualität?
Auch ich hatte von der Studie gehört und war neugierig, mehr darüber zu erfahren.
Weniger Krankenhäuser, aber dafür mehr Qualität der Versorgung klingt auf den ersten Blick wie ein Widerspruch. Die Studie kommt hier zu dem Ergebnis, dass durch die Konzentration der Krankenhäuser eine bessere personelle und apparative Ausstattung erreicht werde, was den Patienten zugute komme. Außerdem sei so gewährleistet, dass Patienten von spezialisierten Ärzten behandelt werden, was die Qualität der Behandlung und damit die Patientensicherheit zusätzlich erhöht.
Der Gedanke ist mit Sicherheit richtig. Auch wir Patientenanwälte fordern seit Jahren eine bessere Ausstattung der Kliniken und empfehlen den Patienten, sich nur von Spezialisten behandeln zu lassen.
Die Forderung nach einer Konzentration von Krankenhäusern macht selbstverständlich für die Arten von Eingriffen Sinn, die nicht notfallmäßig müssen, wie z.B. das Einsetzen von künstlichen Gelenken. Doch was ist mit den Fällen, bei denen es auf jede Minute ankommt, wie bei einer Geburt, einer Blinddarmentzündung, einem Herzinfarkt oder Schlaganfall. Was nützen da die bessere Ausstattung und spezialisierten Ärzte, wenn der Patient zu spät im Krankenhaus ankommt?
Schnelle Erreichbarkeit: ein wichtiges Kriterium
Das Zitat von Dr. Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung mutet in diesen Fällen schon fast zynisch an:
„Wenn ein Schlaganfallpatient die nächstgelegene Klinik nach 30 Minuten erreicht, dort aber keinen entsprechend qualifizierten Arzt und nicht die medizinisch notwendige Fachabteilung vorfindet, wäre er sicher lieber ein paar Minuten länger zu einer gut ausgestatteten Klinik gefahren worden“,
Das pikante an dieser Studie ist: Brigitte Mohn sitzt nicht nur im Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, sie ist auch Mitglied des Aufsichtsrats der Rhön-Klinikum AG. Ein Interessenskonflikt ist hier nicht ausgeschlossen, denn die Privatkliniken könnten von der Schließung kommunaler Krankenhäuser profitieren.
Ein weiterer Schwachpunkt dieser Studie ist, dass man sich mit der Modellregion Köln/Leverkusen für eine sehr dicht besiedelte Region entschieden hat, in der auf engstem Raum mehr als eine Million Menschen leben und in der eine Vielzahl von Krankenhäusern zur Verfügung steht. Wie verhält es sich jedoch in den ländlichen, nicht so dicht besiedelten Gebieten?
Ich selbst bin in einer ländlichen Region aufgewachsen. Das Krankenhaus in meiner Heimatstadt ist das einzige im Umkreis von 30 Minuten. Das nächste Krankenhaus liegt mindestens weitere 30 Minuten entfernt. Ist das zumutbar? Nein! Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Herzinfarkt in der eigenen Familie. Man wollte den Patienten in die am nächsten gelegene spezialisierte Klinik einliefern, die aber 30 Minuten entfernt war. Da der Gesundheitszustand jedoch so kritisch war, entschied man sich zu einer Einlieferung ins fünf Minuten entfernte Krankenhaus vor Ort – eine Entscheidung, die meinem Angehörigen das Leben rettete.
Die Studie hat bei der Bewertung bewusst den Aspekt der schnellen Erreichbarkeit eines Krankenhauses außen vor gelassen. Sie lässt damit einen wichtigen Punkt außer Betracht, der jedoch unterschlagen werden darf: Denn eine Verringerung der Krankenhäuser wird dafür sorgen, dass die Qualität der Behandlung in den Ballungszentren sehr wahrscheinlich zunehmen wird. Sie wird aber auch dafür sorgen, dass die ärztliche Versorgung in den ländlichen und strukturschwachen Regionen Deutschlands noch schlechter wird, als sie heute bereits ist.
Daseinsvorsorge für alle ist eine Pflichtaufgabe
An dieser Stelle ist auch die Politik gefordert, ihrem im Grundgesetz verankerten Auftrag der Daseinsvorsorge von allen gerecht zu werden. Es geht hier um eine erreichbare und qualitativ hochwertige Versorgung. Bei dieser Umsetzung wird es darauf ankommen, den Pflegeberuf wieder so attraktiv zu machen, dass sich mehr Menschen für diesen Beruf entscheiden. Auch wird es Aufgabe der Politik sein, den Ärztemangel zu beseitigen, mehr Studienplätze zur Verfügung zu stellen und dafür Sorge zu tragen, dass die Krankenhäuser flächendeckend besser ausgestattet werden.