Ärzte ohne Berufshaftpflicht: Der geschädigte Patient ist der Dumme
Bei der Geburt des kleinen S. unterläuft dem Arzt ein folgenschwerer Fehler – der Säugling kommt schwerbehindert zur Welt und wird sein Leben lang ein Pflegefall sein. Neben dem unsäglichen Leid kommen nun hohe Pflegekosten auf die Familie H. zu.
Die Familie will den Fehler nicht auf sich sitzen lassen. Sie beschließt, den verantwortlichen Arzt auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen und beauftragt einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Rechte. Im Laufe der Verhandlungen stellt sich heraus, dass der Arzt keine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen hat und somit keine Versicherung für den Schaden aufkommen wird.
Was bedeutet dies in der Praxis? Hat der Arzt keine Berufshaftpflichtversicherung, muss er mit seinem Privatvermögen für den gesamten Schaden aufkommen, der in diesem Fall im sechsstelligen Bereich liegt. Was aber, wenn der Arzt, wie im vorliegenden Fall, insolvent und damit zahlungsunfähig ist? Die ernüchternde Antwort: Familie H. hat keine Chance, den ihr zustehenden Schadenersatz jemals zu erhalten. Sie geht leer aus und muss zudem die Anwalts- und Gerichtskosten tragen.
Berufshaftpflicht keine Voraussetzung für die Zulassung
Nach § 21 der (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte ist jeder Arzt verpflichtet, sich gegen Haftpflichtansprüche aus seiner Berufstätigkeit ausreichend zu versichern. So steht es auf dem Papier. Die Realität sieht anders aus: Es kommt immer wieder vor, dass Ärztinnen und Ärzte ohne Berufshaftpflichtversicherung praktizieren, da eine solche Versicherung – anders als etwa bei Rechtsanwälten – keine Voraussetzung für die Berufszulassung ist. Sie müssen das Bestehen einer Haftpflichtversicherung nicht nachweisen und die Einhaltung dieser Pflicht wird von den Landesärztekammern, die die Berufsaufsicht ausüben, nicht oder nur unzureichend kontrolliert. Verstößt ein Arzt gegen die Berufsordnung der Landesärztekammern, sind zudem keine Sanktionen vorgesehen.
Jeder Verkehrsteilnehmer ist gesetzlich verpflichtet, für sein Fahrzeug eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, ohne die es nicht am Straßenverkehr teilnehmen darf. Jeder kleine Blechschaden ist damit besser abgesichert als ein Patient, der sich vertrauensvoll in die Hände seines (möglicherweise nicht versicherten) Arztes begibt. Hier wird das Risiko zu 100% auf den Patienten abgewälzt.
Gesetzeslücke muss geschlossen werden
Wolfgang Zöller, der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, sieht hier eine „Gesetzeslücke“, die im Patientenrecht geschlossen werden müsse. Die bisherigen Aktivitäten sind allerdings wenig ermutigend. Wenig Verbindliches ist da zu lesen: „Für die Patientinnen und Patienten ist es von großer Bedeutung, dass Ärztinnen und Ärzte über eine ausreichende und dauerhafte Berufshaftpflichtversicherung verfügen, um einen vollständigen Ausgleich etwaiger Schäden zu gewährleisten. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch größere Schadensersatzforderungen tatsächlich und vollständig erfüllt werden können. Die Bundesländer und (Zahn-)Ärztekammern werden daher aufgefordert, diesen Schutz der Patientinnen und Patienten durch geeignete Kontrollmechanismen sicherzustellen.“ (aus dem Eckpunktepapier „Patientenrechte in Deutschland“)
Eine bloße Aufforderung reicht nicht aus. Vielmehr ist es dringend und zwingend erforderlich, eine Berufshaftpflichtversicherung als Zulassungsvoraussetzung für Ärztinnen und Ärzte gesetzlich vorzuschreiben, damit Geschädigte wie die Familie H. nicht unverschuldet vor einem finanziellen Desaster stehen.
REDAKTION ARZTHAFTUNGS- UND MEDIZINRECHT
Wir sind spezialisiert auf die Vertretung von Patienten bei Behandlungsfehlern. Mit umfassendem Fachwissen und langjähriger Erfahrung setzen wir uns konsequent für die Rechte von Patienten ein, die durch Behandlungsfehler geschädigt wurden. Unser Leistungsspektrum umfasst die umfassende rechtliche Beratung, die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen sowie die Begleitung in den oftmals komplexen medizinrechtlichen Verfahren. Vertrauen Sie auf unsere Kompetenz und unser Engagement in diesem anspruchsvollen Rechtsgebiet.