Hinderliche Ermittlungsverfahren und Verzögerungstaktiken in Geburtsschadensverfahren
Aktuell erlangt erneut der Fall eines unter der Geburt geschädigten Kindes und das Verfahren gegen die bayerische Entbindungsklinik Medienbekanntheit. Der nun in Spiegel Online dargestellte Fall des kleinen Johnny aus Bayreuth wirft neben dem Missstand geburtshilflicher klinischer Praxis im dortigen Krankenhaus auch aus haftungsrechtlicher Sicht zwei sehr relevante Fragen auf:
- Macht es überhaupt Sinn, im Falle eines unter der Geburt geschädigten Kindes eine Strafanzeige zu stellen?
- Ist auch bei nachgewiesener Verantwortlichkeit eine reibungslose Regulierung durch die Haftpflichtversicherer zu erwarten?
Beide Fragen sind aus unserer anwaltlichen Sicht zu verneinen.
Macht eine Strafanzeige in Geburtsschadensfällen Sinn?
Die Strafanzeige im Arzthaftungsrecht wird im Allgemeinen als kontraproduktiv betrachtet. Sie ist jedenfalls dann ein Fehler, wenn man zugleich versucht, auf zivilrechtlichem Wege auch noch Schmerzensgeld und Schadensersatz für das Kind zu erstreiten. Eine Strafanzeige führt in den seltensten Fällen zum Erfolg in Form einer Verurteilung des Arztes oder der Ärztin oder auch der Hebamme, weil bis zuletzt eine sog. Unschuldsvermutung zu deren Gunsten wirkt. Diese greift selbst dann ein, wenn neben dem Behandlungsfehler auch eine andere Ursache den kindlichen Schaden herbeigeführt haben kann bzw. wenn nicht sicher ist, dass ausschließlich der Behandlungsfehler die Ursache der Verletzung ist. Gerade bei komplexen physischen Abläufen unter der Geburt und auch bei etwaigen Vor- oder Begleiterkrankungen von Mutter oder Kind, führt dies am Ende in aller Regel zu einer Einstellung des Verfahrens: „in dubio pro reo“.
Im Zivilrecht, in dem es um Schmerzensgeld und Schadensersatz geht, ist das nicht der Fall, weil keine subjektive Schuld sondern Verstöße gegen den objektiven medizinischen Standard geahndet werden sollen.
Der bedauerliche Nebeneffekt eines Strafverfahrens gegen die Behandler ist zudem, dass damit die Geltendmachung von Schmerzensgeld und Schadensersatz verhindert wird. Die Haftpflichtversicherung eines Klinikums/Arztes wird sich im Regelfall auf den Standpunkt stellen, dass der Ausgang eines Ermittlungsverfahrens abzuwarten bleibt, bevor über Entschädigungsleistungen entschieden wird. Ein solches Verfahren kann dabei ohne Weiteres mehrere Jahre dauern.
Wir raten daher im Regel von strafrechtlichen Schritten ab. Sie mögen im Einzelfall gut begründet sein, sind jedoch immer sorgfältig gegen die Interessen der Geschädigten an einer zügigen und reibungslosen Entschädigung abzuwägen.
Schadensregulierung durch den Versicherer in Geburtsschadensfällen
Im Fall, über den der Spiegel aktuell berichtet, wurden gravierende Standardunterschreitungen nachgewiesen und trotzdem geraten die Eltern bzw. Großeltern des behinderten Kindes aufgrund der kostspieligen Pflege in finanzielle Nöte. Wie kann das sein?
Leider ist es nahezu der Regelfall, das Haftpflichtversicherer sich äußerst schwer tun, schnell und adäquat Entschädigungsmittel bereitzustellen, wenn es um die Regulierung von Personengroßschäden geht. Siehe hierzu auch den Blogbeitrag von Rechtsanwalt Martin Quirmbach vom 15.11.2017. In Medizinschadenfällen haben die Versicherer die Möglichkeit, durch eigenfinanzierte Gutachten, die nicht selten als Gefälligkeitstaten der beauftragten Gutachter zu entlarven sind, konstruktive Verhandlungen zu blockieren und medizinische Gegenargumente zu generieren. Natürlich wird gerade bei Schwerstgeschädigten auf diese Art und Weise auf Zeit gespielt und Druck ausgeübt, mit dem Effekt im Idealfall überhaupt keine Regulierung oder eine Regulierung auf nur geringerer Basis zu leisten.
Gerade in Geburtsschadensverfahren lässt sich anhand der Größenordnung erster Vorschusszahlungen häufig ablesen, wie ernst es die gegnerische Haftpflichtversicherung mit der Regulierung meint. Im Raume steht häufig ein Schaden in Millionenhöhe. Vor diesem Hintergrund sind Vorschussleistungen im fünfstelligen Bereich buchstäblich der Tropfen auf dem heißen Stein. Das lässt schon erkennen, dass der Gegner eine Scheibchenpolitik praktiziert die schlussendlich nur zur Zermürbung des Geschädigten führt.
Wir raten zwar grundsätzlich zu einem geduldigen und bedachten Vorgehen in außergerichtlichen Arzthaftungsverfahren; dies beinhaltet aber schon im Grundsatz die Vermeidung von langwierigen und frustrierenden Strafverfahren. Dazu gehört auch, eine Hinhaltetaktik und Scheibchenpolitik rechtzeitig als solche zu erkennen und ihr konstruktiv entgegenzuwirken. In aller Regel zeigt sich nach der ersten ausführlicheren Stellungnahme der gegnerischen Haftpflichtversicherung, ob eine Basis für konstruktive Verhandlung gegeben ist, oder der ggf. sogar viel effizienterer Weg über die Klage bei den Zivilgerichten eingeschlagen werden muss.
Jan Tübben, Fachanwalt für Medizinrecht