Geschädigte und Schädiger im Arzthaftungsprozess – ein faires Verfahren?
Nach den ersten Monaten als Patientenanwalt sind mir erhebliche Unterschiede bei der Bearbeitung der Arzthaftungsfälle aufgefallen – jeweils abhängig davon, ob die Fälle aus der Perspektive des Patientenanwaltes oder der des gegnerischen Haftpflichtversicherers betrachtet werden. Wie so oft im Leben, hat jede Seite ihre Vor- und Nachteile.
Ungleichgewicht zwischen geschädigtem Patienten und Behandler
Der erste entscheidende Unterschied ist, dass ich als Patientenanwalt mit Menschen arbeite und deren persönliches Schicksal unmittelbar kennenlerne. Im Gegensatz dazu erfolgt die Bearbeitung auf der anderen Seite fast ausschließlichen in Papierform, wodurch sehr viel Verständnis für den Fall verlorengeht.
Ein weiterer Unterschied sind die finanziellen Ressourcen. So musste ich mir während der Zeit beim Haftpflichtversicherer keine Gedanken über Gutachterkosten machen. War ein Gutachten notwendig, so wurde es in Auftrag gegeben. Als Patientenanwalt ist das schwieriger, da die von uns bevorzugten Privatgutachten für Privatpersonen sehr teuer sind. Rechtsschutzversicherungen erstatten Gutachterkosten nicht außergerichtlich, sodass Mandanten sich ein solches Gutachten häufig nicht leisten können. Dann heißt es, kreativ zu sein und andere Wege zu finden, die Haftung qualifiziert zu begründen (Schlichtungsverfahren, Unterstützung durch Krankenkasse etc.). An dieser Stelle kann man durchaus von einem Ungleichgewicht zwischen Patient und Behandler sprechen.
Überprüfung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens ist zu empfehlen
Dieses Ungleichgewicht verstärkt sich im Prozess, wenn der gerichtliche Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, dass kein Behandlungsfehler vorliegt. Dann stehen wir als Anwälte vor der Aufgabe, binnen kürzester Zeit zu einem für uns negativen medizinischen Gutachten qualifiziert Stellung zu nehmen – am besten durch ein Gegengutachten. Weil es schnell gehen muss, bleibt nur das Privatgutachten. Doch das ist, wie schon gesagt, teuer und die wenigsten Geschädigten können sich das leisten.
Wie wichtig es ist, ein gerichtliches Sachverständigengutachten auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen, hat mir kürzlich ein Fall gezeigt, in dem unser Sachverständiger und ich fundamentale Fehler im Gerichtsgutachten aufdecken konnten. Dieses Beispiel vor Augen, möchte ich gar nicht darüber nachdenken, wie viele solcher mangelhaften Gerichtsgutachten dazu führen, dass berechtigte Ansprüche unbemerkt und zu Lasten der Geschädigten abgewiesen werden.
Auch an einer anderen Stelle kommt das eingangs beschriebene Ungleichgewicht zum Tragen.
Trotz positiver Gutachten sind wir häufig gezwungen, die berechtigten Ansprüche unserer Mandanten vor Gericht einzuklagen, weil die gegnerische Haftpflichtversicherung unsere Gutachten nicht akzeptiert. Doch einige dieser Klagen werden von den Geschädigten gar nicht erst aufgenommen, da sie das Prozesskostenrisiko mangels Rechtschutzversicherung scheuen. Auch eignet sich leider nicht jeder Fall für einen Prozessfinanzierer. Denn wird ein solcher Prozess verloren, muss man als Kläger neben den Gerichtskosten auch die Kosten der gegnerischen Anwälte übernehmen, die mitunter im hohen vierstelligen oder gar fünfstelligen Bereich liegen können.
Unterstützung der Geschädigten durch die Krankenkassen
Es stellt sich die Frage, ob und wie dieses Ungleichgewicht beseitigt werden kann. Hierfür kommen die gesetzlichen Krankenversicherungen in Frage. Neben dem gesetzlichen Auftrag, den Geschädigten bei der Durchsetzung seiner Ansprüche zu unterstützen, verfolgen die Krankenversicherungen auch eigene Interessen, da sie ein Recht auf Rückerstattung der durch den Behandlungsfehler verursachten Mehrkosten haben.
In den Fällen, in denen sich die Geschädigten einen Rechtsstreit nicht leisten können, wäre es durchaus vorstellbar, dass die Krankenversicherungen anstelle des Geschädigten ihre Ansprüche einklagen, und der Geschädigte den Ausgang dieses Prozesses abwartet, bevor er sein Interesse weiterverfolgt.
Auch während eines Gerichtsprozesses wäre eine noch bessere Unterstützung durch die Krankenkassen möglich. Denn leider gelingt es der Gutachterstelle der Krankenkassen, dem sogenannten Medizinischen Dienst (MDK), nicht immer, rechtzeitig eine medizinische Stellungnahme zu dem gerichtlichen Gutachten abzugeben. Würde hier von Seiten der Krankenkassen eine Möglichkeit geschaffen, diesem Problem zu begegnen, wäre das eine wertvolle Unterstützung für unsere Mandanten.
Es ist also durchaus möglich, das bestehende Ungleichgewicht zwischen Geschädigten und Schädiger zu Gunsten der Geschädigten zu verschieben. Es kommt darauf an, die entsprechenden Stellen zu sensibilisieren und zu aktivieren.