Arzthaftungsrecht: Richter muss Widersprüche in Gutachten aufklären
In Arzthaftungsprozessen liegt dem Kläger in der Regel bereits vor Klageerhebung ein medzinisches Privatgutachten vor, das den Behandlungsfehler belegt und auf das sich die Klagebegründung stützt. Dieses Gutachten wird von Gerichten und gegnerischen Kollegen gerne als Parteigutachten degradiert und wir erleben es oft, dass Richter kommentarlos dem Ergebnis des Gerichtsgutachters folgen und das Privatgutachten ignorieren.
Privatgutachten vs. Gerichtsgutachten
Doch ist ein Privatgutachten wirklich weniger wert als ein Gutachten, das durch das Gericht eingeholt wird?
Mit dieser Frage beschäftigte sich der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 11.11.2014 (Az. VI ZR 76/13). Die Entscheidung, die der BGH gefällt hat, ist für uns und unsere Mandanten sehr erfreulich.
„Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so darf der Tatrichter den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt.“
Der BGH sagt also sehr deutlich, dass keinem Gutachten ohne nachvollziehbare Begründung der Vorzug gegeben werden darf. Widersprechen sich mehrere Gutachten, so muss der Richter die Widersprüche aufklären und sich mit widersprüchlichen Äußerungen der Sachverständigen auseinandersetzen. Bei der Urteilsfindung darf der Richter keinen Widerspruch ungeklärt lassen. Ein gesonderter Antrag der Parteien hierzu ist nicht erforderlich.
Die Privatgutachten erhalten durch diese Entscheidung des BGH wieder einen deutlich höheren Stellenwert, weil dieser BGH-Entscheid besagt, dass dem staatlich bestellten Gerichtsgutachter nicht mehr Glauben geschenkt werden darf als dem Privatgutachter. Es wird spannend zu sehen, wie sich diese BGH-Entscheidung auf die Praxis ausüben wird.
Melanie Mathis, Rechtsanwältin
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