Arzthaftung: „Eine Krähe hackt der anderen doch kein Auge aus“
„Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“. So oder so ähnlich beginnen viele unserer Mandanten das Gespräch, wenn es darum geht, die Erfolgsaussichten einer Schadensersatzklage nach einem möglichen Behandlungsfehler zu prüfen. Wie kommt dieser Eindruck zustande? Ist das wirklich so? Grund genug, sich an dieser Stelle einmal näher mit dem Thema zu beschäftigen.
Ist das Sachverständigengutachten parteiisch?
Der Verdacht auf einen Behandlungsfehler muss in der Regel durch ein medizinisches Sachverständigengutachten bestätigt werden. Das heißt, ein Arzt muss die Leistung seiner Kollegen beurteilen. Wird am Ende des Gutachtens festgestellt, dass kein Behandlungsfehler vorliegt, entsteht der Eindruck, dass der Gutachter seinen Kollegen in Schutz nimmt.
Besonders häufig fällt der „Krähensatz“ am Ende von Gerichtsverhandlungen, wenn der vom Gericht bestellte medizinische Sachverständige zum Behandlungsfehlervorwurf befragt wird und nicht mit der gewünschten Klarheit antwortet. Auch hier kann der Eindruck entstehen, dass der beklagte Kollege in Schutz genommen wird. Schwer verständlich ist es für die Beteiligten auch, wenn der Behandlungsfehler bereits gutachterlich festgestellt wurde, der Gerichtsgutachter das Ergebnis des Gutachtens aber nicht bestätigt. Noch schlimmer ist es für die Mandanten, wenn der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung plötzlich seine Meinung ändert und das Vorliegen eines Behandlungsfehlers verneint.
Auch wir Anwälte, die wir uns täglich mit der sehr anspruchsvollen Materie der Arzthaftung beschäftigen, können uns dieses Eindrucks manchmal nicht erwehren. Um die berechtigten Ansprüche für den Mandanten durchzusetzen, muss man als Anwalt hartnäckig sein und den Gutachtern die richtigen Fragen stellen. Denn oft scheitert die Verhandlung daran, dass Arzt und Jurist unterschiedliche Sprachen sprechen und aneinander vorbeireden.
Behandlungsfehlerstatistik und „Krähentheorie“
Die Behandlungsfehlerstatistik 2017 der niedersächsischen Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen, die die Schlichtungsverfahren für insgesamt 10 Landesärztekammer-Bereiche übernimmt, belegt, dass die sogenannte „Krähentheorie“ nicht unbedingt haltbar ist. Die Schlichtungsstelle weist in ihrer Statistik aus, dass bei insgesamt 24,4 % aller Schlichtungsverfahren ein Behandlungsfehler festgestellt wurde, der auch zu einem kausalen Gesundheitsschaden geführt hat.
Demgegenüber hat der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) nur in 19,9 % der geprüften Behandlungsfehlervorwürfe einen Behandlungsfehler festgestellt.
Das bedeutet, dass in den von der Ärzteschaft als seriöser angesehenen Schlichtungsverfahren der Ärztekammern mehr Behandlungsfehler festgestellt wurden als in den von der Ärzteschaft häufig kritisierten Gutachten des MDK. Es bestehen also durchaus gute Chancen, einen Behandlungsfehler nachzuweisen, was sich auch mit unseren Erfahrungen deckt.
Gute Aussichten für den Nachweis von Behandlungsfehlern
Der Weg zum Erfolg ist allerdings oft steinig und der Nachweis von Behandlungsfehlern und die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen nicht immer einfach. Dennoch empfehlen wir, dem Verdacht auf einen Behandlungsfehler unbedingt nachzugehen. Betroffene Patienten oder deren Angehörige können sich direkt an die Ärztekammern oder auch an die eigene gesetzliche Krankenkasse wenden, die sie bei der Überprüfung unterstützen.
Unabhängig davon ist es in jedem Fall ratsam, sich an einen auf Arzthaftungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt zu wenden. Er hat die nötige Erfahrung und kann die richtigen Fragen stellen. Und er kann die medizinischen Gutachter herausfiltern, die der anderen Krähe wirklich kein Auge aushacken wollen.
Sven Wilhelmy, Fachanwalt für Medizinrecht und Partner