BGH stärkt Patientenrechte: Hemmung der Verjährung durch Schlichtungsverfahren bei Ärztekammern
Macht ein Patient wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers Schadensersatzansprüche bei einer von den Ärztekammern eingerichteten Schlichtungsstelle geltend, tritt die Hemmung der Verjährung auch dann ein, wenn der Arzt oder seine Haftpflichtversicherung das Schlichtungsverfahren ablehnen.
Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche wegen eines vermuteten Behandlungsfehlers unterliegen grundsätzlich der Verjährung. Als Faustregel gilt: Die Ansprüche verjähren grundsätzlich nach drei Jahren.
Die Frist beginnt nicht zwingend in dem Jahr, in dem der Fehler passiert ist. Entscheidend ist vielmehr der Zeitpunkt, zu dem der Patient von der fehlerhaften Behandlung Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können.
Zur Vermeidung der Verjährung müssen die Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht werden. Es gibt jedoch Umstände, die den Ablauf der Verjährungsfrist hemmen, d.h. den Fristablauf unterbrechen.
Mit der Frage der Hemmung der Verjährung durch einen Antrag bei einer von den Ärztekammern eingerichteten Schlichtungsstelle hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Entscheidung vom 17.01.2017 (Az.: VI ZR 239/15) befasst. Rechtsgrundlage waren § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB und § 15a Abs. 3 Satz 2 EGZPO in der bis März 2016 geltenden alten Fassung.
Das Urteil des BGH hat Klarheit in einer Rechtsfrage geschaffen, die bis zu diesem Urteil kontrovers diskutiert wurde.
Welchen Fall hat der BGH entschieden?
Der Patient wurde im Mai 2007 von einer Zecke gestochen. Im Oktober 2007 traten starke Schmerzen im rechten Knie auf. Der Patient suchte daraufhin einen Orthopäden auf, der schließlich eine Entzündung der inneren Gelenkkapsel diagnostizierte.
Im Juni 2008 stellte sich der Patient in einem Kniezentrum vor. Dort wurde eine Borreliose diagnostiziert und festgestellt, dass diese eine Infektion in fast allen Gelenken des Körpers ausgelöst hatte.
Schlichtungsverfahren und Klage
Am 15.12.2011 stellte der Patient einen Schlichtungsantrag bei der Schlichtungsstelle der Norddeutschen Ärztekammer und warf dem Orthopäden eine fehlerhafte Diagnose und Behandlung vor. Der Antrag ging dort am 22.12.2011 ein. Im April 2012 lehnte der Haftpflichtversicherer des Orthopäden die Teilnahme am Verfahren mit der Begründung ab, der Anspruch sei verjährt. Das Schlichtungsverfahren wurde daraufhin beendet.
Der Patient erhob Klage. Sowohl das Landgericht Erfurt als auch das Oberlandesgericht (OLG) Jena wiesen die Klage wegen Verjährung ab.
Die Auffassung, dass ein eingeleitetes Schlichtungsverfahren die Verjährung nicht hemmt, wenn der Arzt oder der Haftpflichtversicherer das Verfahren ablehnt, ist weit verbreitet und wurde auch von beiden Instanzen vertreten.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der Bundesgerichtshof ist dieser Auffassung nicht gefolgt und hat die Entscheidung des OLG aufgehoben mit der Folge, dass der Fall erneut vor dem OLG verhandelt und entschieden werden muss.
Der BGH gab den Vorinstanzen insoweit Recht, als die Ansprüche des Klägers – ohne Hemmung – regelmäßig mit Ablauf des 31.12.2011 verjährt wären. Weiter stellte der BGH fest, dass die Vorinstanzen zutreffend darauf hingewiesen haben, dass der Eintritt der Verjährungshemmung grundsätzlich davon abhängt, dass die Parteien den Einigungsversuch vor der Gütestelle einvernehmlich unternehmen.
Da sich aus dem geschilderten Sachverhalt ergibt, dass der Haftpflichtversicherer das Verfahren abgelehnt hatte, stellt sich die Frage, warum der BGH dennoch von einer Hemmung der Verjährung ausgegangen ist.
Rechtliche Begründung des BGH
Der BGH führte aus, dass nach dem Wortlaut des § 204 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 BGB die Hemmung der Verjährung durch den Eingang des Antrags bei der Schlichtungsstelle der Ärztekammer vor Ablauf der Verjährungsfrist eintrete. Auch die weitere Voraussetzung, dass der Antrag von einer Gütestelle im Sinne des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB demnächst bekannt gemacht worden sei, sei erfüllt.
Die Ablehnung des Haftpflichtversicherers überwand der BGH unter Hinweis auf § 15a Abs. 3 S. 2 EGZPO. Danach wird das Einverständnis der Parteien vermutet, wenn der Patient eine berufsständische Gütestelle wie die Schlichtungsstelle der Ärztekammer angerufen hat.
Der BGH stellte damit klar, dass weder die Ablehnung des Arztes noch die seines Haftpflichtversicherers etwas an der Frage des Einvernehmens ändert!
Die Hemmung der Verjährung endet frühestens sechs Monate nach rechtskräftiger Entscheidung oder sonstiger Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen war daher auch keine Verjährung der Ansprüche des Klägers im Klageverfahren eingetreten.
Fazit
Entscheidend für die Hemmung der Verjährung sind:
- Einbringung des Schlichtungsantrags vor Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist
- Einreichen des Antrags bei einer von der Ärztekammer eingerichteten Schlichtungs- und Gutachterkommission
- Zustellung des Antrags durch die Schlichtungsstelle „demnächst“ (der Patient sollte darauf achten, dass die Zustellung spätestens innerhalb von 14 Tagen erfolgt und er seiner Mitwirkungspflicht nachkommt)
- Beachtung der neuen Verjährungsfrist nach Abschluss des Verfahrens für den Fall eines anschließenden Klageverfahrens.
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