Unfallopfer brauchen unsere Unterstützung
Ein Aufruf gegen das häufig zögerliche Regulierungsverhalten einiger Versicherer
Sonntagmorgen, ich bin auf dem Weg zur holländischen Insel Ameland, zusammen mit meiner Husky-Hündin Mia. Eine Woche Intensivtraining Mensch und Hund. Hier herrscht kaum Verkehr. Zartes helles Grün, Frühlingsgrün – eine der schönsten Farben der Natur im Wechsel von Sonnenlicht und Wolkenschatten. Auf dem Weg zurück nach Norden rasten Tausende von Wildgänsen auf Äckern und Weiden zwischen Schafen. „What a wonderful world“ – der hawaiianische Musiker Israel Kamakawiwo‘ole singt mir aus der Seele.
Neben mir auf dem Beifahrersitz stapeln sich die Aktenseiten. Der Fall von Frau G.: medizinische Berichte, Gutachten, Schriftwechsel zwischen Anwälten und Versicherung, dazwischen Bilder von Operationen, einem entstellten und verbrannten Körper, der kaum als menschliches Wesen zu erkennen ist. Das ist Frau G.
So, wie das Schicksal Frau G. ereilt hat, könnte es auch mir gehen, denke ich. Gerade noch begeistert und voller Freude über die wunderschöne Natur, könnte im nächsten Moment ein Unfall passieren, käme das plötzlich Aus, verliefe mein weiteres Leben vielleicht auch in einem dunklen endlosen Tunnel.
Was ist passiert: der Fall
Vor 17 Jahren wollte Frau G. zusammen mit ihrem Mann und ihrer damals zweijährigen Tochter in ihr Heimatland fahren. Ihr Mann schlief am Steuer ein, prallte gegen ein anderes Fahrzeug und verstarb sofort an der Unfallstelle ebenso wie das Kind. Frau G. selbst wurde Stunden später von der Feuerwehr aus dem brennenden Fahrzeug gerettet.
Die Ärzte gaben ihr keine Überlebenschance. Sie versetzten sie in einen künstlichen Tiefschlaf. Nach drei Wochen meinte ein Arzt: „Ich glaube, sie will leben.“ Und von da an begann eine intensive medizinische Arbeit, die bis heute nicht beendet ist. Große Teile der der Körperoberfläche waren verbrannt. Die linke Hand und alle Finger an der rechten Hand mussten amputiert werden. Das Gesicht war quasi nicht mehr vorhanden. Das linke Auge war nicht mehr zu retten. Wo einmal die Nase gewesen war, nähten die Ärzte den aufgeschnittenen linken Unterarm fest; in dieser Stellung musste Frau G. mehr als zwei Wochen auf dem Rücken liegend ausharren, bis genügend Gewebe verwachsen war, um daraus eine neue Nase zu formen und der Arm wieder abgetrennt werden konnte. Ein neuer Hals entstand aus Gewebe, das der Bauchdecke entnommen wurde.
Der Versicherer verweigert sich
Frau G. stammt nicht aus Deutschland, spricht aber fast akzentfrei. „Nach der vierzigsten Operation habe ich aufgehört zu zählen.“ Sie schaut mich mit ihrem gesunden Auge an und ich sehe unendliche Trauer. Der Chirurg hat wahre Wunder vollbracht. Trotzdem erschüttert mich, was ich sehe.
„Sie haben sehr schöne Haare“, sage ich und merke im gleichen Atemzug, dass es nicht das eigene Haar von Frau G. sein kann. „Das musste ich mir selbst bezahlen“, sagt sie. „Die Versicherung hat vorher bei dem Lieferanten angerufen und ihm vorgeschrieben, mir auf keinen Fall eine teure Perücke zu verkaufen. Eine billige würde es auch tun. Doch damit habe ich ausgesehen, als hätte ich einen Wischmopp auf dem Kopf. Um jeden Cent muss ich kämpfen und viele Dinge verweigert die Versicherung ganz einfach.“ – Dieses Verhalten des Versicherers überrascht mich leider nicht.
Frau G. erzählt weiter: „Im letzten Winter musste ich um 8 Uhr morgens zu einer Operation in Darmstadt erscheinen. Der Wetterbericht meldete Regen und Glatteis, Blitzeis für den nächsten Tag. Ich fuhr deshalb am Abend vorher nach Darmstadt und übernachtete in einem Hotel. Mit dem Satz: ‚Das ist Ihre Privatsache, wenn Sie in einem Hotel übernachten’, verweigerte die Versicherung die Zahlung der Rechnung.“
Vor Jahren schon wurde die Schmerzensgeldfrage mit einem lächerlich geringen Betrag erledigt, alle anderen Schadenspositionen sind bis heute offen. Würde Frau G. korrekt entschädigt, stünde ihr sicher ein Gesamtbetrag von mehr als einer Million Euro zur Verfügung. Damit könnte sie ihr Leben neu beginnen, könnte eine ihren Ansprüchen gerecht werdende Wohnung finanzieren, könnte ein ihrer Behinderung angemessenes Leben führen, und vor allem würde sie etwas zurückerhalten, was ihr seit 17 Jahren verweigert wird: die Menschenwürde.
Derzeit lebt Frau G. von einer Rente von weit weniger als 1.000 Euro. „Mein Auto war kaputt. Die Reparatur kostete 250 Euro. Ich musste mit der Werkstatt Ratenzahlung vereinbaren, sonst hätte ich das Auto nicht bekommen und wäre dann auch nicht hier“, sagt sie.
Und weiter: „Es ist nicht nur mein Körper verbrannt, auch meine Seele ist verbrannt. Oft frage ich mich, warum will ich eigentlich leben?“
Das versetzt mir einen Stich und gleichzeitig spüre ich einen dumpfen Zorn in mir aufsteigen angesichts des wieder einmal unglaublichen und menschenverachtenden Verhaltens eines Versicherers. Auf den mir vorgelegten Fotos sehe ich eine schöne junge Frau, die ein herzhaft lachendes kleines Mädchen auf ihrem Schoß hält. „Das waren glückliche Zeiten“, sagt sie. „Seit dem Unfall gibt es nur noch Schmerzen, Leere, Einsamkeit. Nein, ich habe keinen Kontakt mehr zu anderen Menschen oder meinen Verwandten, ich möchte niemandem zur Last fallen.“
Verhalten der Versicherung: kein Einzelfall
Ist dieses Regulierungsverhalten ein Einzelfall? Leider nein. Die Versicherung von Frau G. wirbt mit günstigen Versicherungsprämien. Im Schadensfall jedoch verweigert sie die angemessene Regulierung, wie es bei vielen anderen Versicherungen auch gängige Praxis ist. Aufgrund dieses Regulierungsverhaltens führen zehntausende Unfallopfer ein menschenunwürdiges Leben mit großen finanziellen Sorgen.
Wie kann das sein? Wieso ist so etwas möglich? Und warum tut niemand etwas dagegen, werden Sie vielleicht fragen. Die Antwort: Weil es niemanden wirklich interessiert. Versicherer können diese Taktik nur auf dem Rücken gesellschaftlicher Gleichgültigkeit verfolgen.
Auch die Gerichte sind keine Hilfe. Durch ihre oft träge, uninteressierte Arbeit ermöglichen sie gerade erst diese Zermürbungsmanöver der Versicherer, wie wir es auch bei Frau G. sehen. Sind nach einem Unfall erst einmal fünf, zehn oder zwanzig und manchmal sogar dreißig Jahre vergangen, resignieren die Betroffenen häufig und akzeptieren am Ende jeden noch so geringen Betrag, den man ihnen anbietet.
Der Ansatz zur Beseitigung der Misere liegt, wie so oft, in den Händen der Politik. Doch Politiker verschließen die Augen vor der Wirklichkeit. Vor einigen Monaten erst hat die Bundesregierung erklärt, es bestehe kein Handlungsbedarf. Das Regulierungsverhalten der Versicherer sei nicht zu beanstanden.
Viele betroffene Unfallopfer sind ganz anderer Meinung, weil sie täglich erfahren, dass sehr wohl ein dringender Handlungsbedarf besteht. Meine Kollegen und ich sehen das genauso, wir beziehen Stellung auf Seiten der Unfallopfer und möchten etwas tun, um den Politikern die Augen zu öffnen, sie zum Handeln zu zwingen. Es wäre ein Leichtes, die Versicherungswirtschaft per Gesetz dazu zu bringen, korrekt und zügig zu regulieren. Zum Beispiel, in dem man Fristen setzt zur Schadensregulierung und nach Ablauf dieser Frist die Entschädigungssumme mit etwa 15 % verzinst.
Und darüber hinaus: Die Politik ist verantwortlich für die Justiz und die Justiz gewährt den Versicherern die Freiräume, die sie auf die beschriebene Art und Weise ausnutzen.
Aufstehen und mitmachen – hinsehen statt wegschauen!
In einer Demokratie kann eine interessierte Öffentlichkeit Berge versetzen. Je mehr Menschen aufhören, wegzuschauen und auf das Problem aufmerksam machen, umso größer wird auch der Druck auf Justiz und Politik.
Unser Ziel ist es, Versicherer zu einer angemessenen und schnellen Schadensregulierung zu bewegen, damit schwer geschädigte Menschen schneller zu einer gerechteren Entschädigung kommen.
Ich habe diesen Artikel mit großer Offenheit geschrieben und hoffe, Ihr Gerechtigkeitsempfinden berührt zu haben. Wenn ja, dann machen Sie mit, leisten Sie einen Beitrag und unterstützen Sie unser Anliegen. Bekennen Sie Farbe und teilen Sie diesen Artikel, leiten Sie ihn weiter, klicken Sie „gefällt mir“ und zeigen Sie Ihre Unterstützung für Frau G. und die vielen anderen Betroffene. Vielleicht gelingt es uns, gemeinsam den ersten Schritt zu tun.
Ich danke Ihnen für Ihr Interesse und Ihr Engagement für mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft.
Martin Quirmbach, Experte für Arzthaftungsrecht / Gründungspartner, Namensgeber und seit 2018 Berater der Kanzlei