Verjährung von Ansprüchen nach Behandlungsfehlern nicht zwingend nach 3 Jahren
Häufig stellen Betroffene erst nach längerer Zeit fest, dass ihre Schädigung oder die ihres Kindes möglicherweise auf Behandlungsfehler im Krankenhaus oder in der Arztpraxis zurückzuführen und nicht schicksalhaft ist. Dann stellt sich die Frage, ob nach Ablauf der Verjährungsfrist noch Ansprüche gegen die Ärzte oder das Krankenhaus geltend gemacht werden können.
In der Arzthaftung gilt eine Frist von drei Jahren, innerhalb derer Ansprüche geltend gemacht werden können. Diese drei Jahre beginnen aber nicht unbedingt mit dem Zeitpunkt, in dem der Behandlungsfehler aufgetreten ist. Dies wäre problematisch, da die Betroffenen oft erst später ahnen, dass ihr Gesundheitsschaden nicht schicksalhaft ist.
Fallbeispiel 1: Spät erkannter Geburtsschaden
Moritz wird in der 35. Schwangerschaftswoche mit einigen gesundheitlichen Problemen geboren. Er wird für kurze Zeit künstlich beatmet, erholt sich aber in den folgenden Tagen. Erst im Alter von drei bis vier Jahren fällt den Eltern und dem Kinderarzt auf, dass Moritz in seiner Entwicklung zurückbleibt. Bisher wurde dies damit erklärt, dass sich manche Kinder eben langsamer entwickeln.
Die Eltern suchen nach Antworten und stellen fest, dass möglicherweise Fehler in der Behandlung gemacht wurden. Erst im Alter von fünf Jahren wird die Diagnose gestellt. Rückblickend stellt sich heraus, dass Moritz bei der Geburt Anzeichen von Sauerstoffmangel hatte und nach der Geburt falsch beatmet wurde. Ein Gutachten bestätigt ein Jahr später, dass diese Fehler zu seinen gesundheitlichen Schäden geführt haben.
Fallbeispiel 2: Behandlungsfehler durch unterlassene Untersuchung
Thomas D. leidet plötzlich unter Schwindel und Sehstörungen, wird aber mit Verdacht auf Migräne aus dem Krankenhaus entlassen. In der Nacht verschlechtert sich sein Zustand rapide, er übergibt sich und hat starke Kopfschmerzen. Als er ins Krankenhaus gebracht wird, ist er bewusstlos und muss künstlich beatmet werden. Eine Kernspintomographie zeigt eine Hirnblutung. Thomas trägt bleibende Hirnschäden davon.
Erst drei Jahre später wird klar, dass bereits in der Notaufnahme Anzeichen einer Hirnblutung erkennbar waren. Ein Gutachten stellt fest, dass eine MRT-Untersuchung notwendig gewesen wäre, aber nicht durchgeführt wurde.
Verjährung drei Jahre nach Behandlung?
Die Frage ist, ob die Frist von drei Jahren nach der Behandlung überhaupt gilt, wenn man erst später von Behandlungsfehlern erfährt.
Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung vom 26.05.2020 entschieden, dass die Frist nicht schon mit Beginn der Behandlung zu laufen beginnt, sondern erst dann, wenn der Patient von den Fehlern erfährt. Dabei reicht es nicht aus, nur den negativen Ausgang der Behandlung zu kennen. Der Patient muss den Zusammenhang zwischen dem Fehler und dem Gesundheitsschaden erkennen können. Es geht also nicht nur darum, den Verlauf der Behandlung zu kennen, sondern auch zu verstehen, dass der Arzt von der üblichen Vorgehensweise abgewichen ist oder etwas unterlassen hat.
Zwischen Behandlung und Kenntnis können Jahre vergehen
In den Beispielen dauerte es sechs bzw. drei Jahre, bis die Zusammenhänge erkannt wurden. Diese Fälle zeigen, wie lange es dauern kann, bis Fehler aufgedeckt werden.
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil betont, dass auch dann, wenn der Patient anwaltlich vertreten ist und dem Anwalt des Patienten die Behandlungsunterlagen bereits vorliegen, keine Verpflichtung besteht, diese Unterlagen so früh wie möglich auszuwerten, um den Zeitpunkt der Kenntniserlangung zugunsten des Fehlerverursachers zu beschleunigen.
Auch nach der jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtshofes gelten im Wesentlichen die gleichen Grundsätze:
- Die maßgebliche Kenntnis und die dreijährige Verjährungsfrist beginnen nicht zwingend unmittelbar nach der ärztlichen Behandlung.
- Der Patient muss nicht in irgendeiner Weise dazu beitragen, den Zeitpunkt der Kenntniserlangung zu beschleunigen.
- Grob fahrlässige Unkenntnis kann nur in besonders krassen Fällen angenommen werden, z.B. bei Nichtbeachtung offensichtlicher Anhaltspunkte (z.B. wenn ein Gutachten, das den Anspruch begründen könnte, nicht gelesen oder jahrelang ignoriert wird).
- Auch viele Jahre nach der ärztlichen Behandlung können noch Ansprüche gegen die Behandelnden geltend gemacht werden.
- Die absolute Verjährung tritt erst nach 30 Jahren ein, unabhängig von der Kenntnis des Patienten von möglichen Fehlern.
Jan Tübben, Fachanwalt für Medizinrecht