Die Teilnahme von Kindern am Straßenverkehr st Alltag: auf dem Weg zur Schule, beim Spielen auf dem Gehweg oder bei den ersten Ausflügen mit dem Fahrrad. Doch was passiert, wenn ein Unfall geschieht? Wer haftet, wenn ein Kind ein parkendes Auto beschädigt oder einen Fußgänger verletzt? Welche Rolle spielt das Alter des Kindes – und welche Pflichten treffen die Eltern?
Dieser Beitrag beleuchtet die rechtlichen Grundlagen der Haftung bei Kinderunfällen im Straßenverkehr und gibt praktische Hinweise für Eltern und Erziehungsberechtigte.
Gesetzliche Grundlage: Wann haften Kinder überhaupt?
Die rechtliche Ausgangslage ist in § 828 BGB festgelegt. Dort ist geregelt, unter welchen Voraussetzungen Minderjährige überhaupt zivilrechtlich verantwortlich gemacht werden können.
Kinder unter sieben Jahren gelten als deliktsunfähig. Sie haften grundsätzlich nicht für Schäden, die sie verursachen – unabhängig davon, wie gravierend der Schaden ist.
Kinder zwischen sieben und zehn Jahren genießen im Straßenverkehr einen besonderen Schutz: Sie haften nicht für Schäden, die im Zusammenhang mit einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienen- oder Schwebebahn stehen – es sei denn, das Kind handelt vorsätzlich.
Diese Regelung berücksichtigt, dass Kinder in diesem Alter häufig mit der Komplexität des Straßenverkehrs überfordert sind, etwa bei der Einschätzung von Geschwindigkeit oder Entfernung eines herannahenden Fahrzeugs.
Ab dem zehnten Lebensjahr beginnt die volle Prüfung der individuellen Einsichtsfähigkeit. In dieser Altersgruppe kann eine Haftung durchaus in Betracht gezogen werden, sofern das Kind die Gefährlichkeit seines Handelns hätte erkennen können.
Einsichtsfähigkeit: Der zentrale Maßstab ab zehn Jahren
§ 828 Absatz 3 BGB bezieht sich auf die persönliche Einsichtsfähigkeit des Kindes. Entscheidend ist, ob das Kind im konkreten Einzelfall erkennen konnte, dass sein Verhalten schädlich ist und es die Verantwortung für die Folgen tragen müsste.
Diese Einschätzung erfolgt nicht pauschal nach Alter, sondern anhand der geistigen Reife, des Urteilsvermögens und des Verantwortungsbewusstseins des jeweiligen Kindes. Gerichte greifen hierfür häufig auf psychologische Gutachten zurück.
Wichtig: Es reicht, wenn das Kind die Verantwortlichkeit erkennen konnte. Ob es sich auch tatsächlich entsprechend verhalten konnte, also beispielsweise Impulse kontrolliert oder Regeln eingehalten hat, ist unerheblich. Damit unterscheidet sich das Zivilrecht klar vom Strafrecht, das zusätzlich auf die Steuerungsfähigkeit abstellt.
Das Schulwegprivileg: Schutz im fließenden Verkehr
Das sogenannte Schulwegprivileg ist ein besonderer Schutzmechanismus für Kinder im Straßenverkehr, der in § 828 Absatz 2 BGB verankert ist. Es schützt Kinder unter zehn Jahren vor Haftung, wenn sie in einen Unfall mit einem Kraftfahrzeug verwickelt sind, während sie sich im fließenden Verkehr befinden.
Beispiel: Wird ein achtjähriges Kind beim Überqueren der Straße von einem Auto erfasst, greift das Schulwegprivileg, selbst wenn das Kind einen Fehler gemacht hat.
Doch Vorsicht: Beim Spielen oder Fahrradfahren im Bereich parkender Autos greift diese Regelung nicht. Die Rechtsprechung wertet solche Situationen nicht als typische Überforderung im dynamischen Straßenverkehr. Verursacht ein Kind beispielsweise beim Rangieren mit dem Fahrrad einen Kratzer an einem parkenden Auto, wird auf die individuelle Einsichtsfähigkeit abgestellt – eine Haftung ist also möglich.
Elterliche Aufsichtspflicht: Wann haften die Eltern?
Auch wenn das Kind selbst nicht haftet, können die Eltern unter Umständen haftbar gemacht werden, insbesondere bei einer Verletzung der Aufsichtspflicht gemäß § 832 BGB. Dabei kommt es auf verschiedene Faktoren an:
Alter, Charakter und Entwicklung des Kindes
Ort und Situation (Straßenverkehr, Spielplatz, Schulweg)
bisheriges Verhalten des Kindes im Verkehr.
Gerichte verlangen von Eltern das, was eine verständige Aufsichtsperson in der jeweiligen Situation für geboten halten würde. Bei Kleinkindern unter vier Jahren wird eine nahezu durchgehende Überwachung erwartet. Mit steigendem Alter und zunehmender Verkehrstauglichkeit des Kindes sinken die Anforderungen.
So gilt es beispielsweise ab einem Alter von etwa sieben Jahren unter bestimmten Umständen als zulässig, Kinder allein mit dem Fahrrad zur Schule fahren zu lassen – vorausgesetzt, das Kind wurde entsprechend belehrt und hat seine Verkehrssicherheit bereits unter Beweis gestellt.
Im Schadensfall müssen Eltern beweisen, dass sie ihrer Aufsichtspflicht ausreichend nachgekommen sind. Gelingt dieser Nachweis nicht, haften sie selbst auf Schadensersatz.
Praktische Empfehlungen für Eltern
Aufklärung frühzeitig beginnen: Die Verkehrserziehung sollte nicht erst in der Schule beginnen. Eltern sind in der Pflicht, ihre Kinder regelmäßig und altersgerecht über Verkehrsregeln aufzuklären.
Verhalten realistisch einschätzen: Nicht jedes Kind ist im gleichen Alter gleich weit entwickelt. Eltern sollten sich daher nicht auf Altersgrenzen verlassen, sondern das tatsächliche Verhalten ihres Kindes beobachten.
Haftpflichtversicherung überprüfen: Eine private Haftpflichtversicherung ist für Familien unerlässlich. Sie sollte auch Schäden durch deliktunfähige Kinder abdecken, denn das ist nicht bei jeder Police der Fall.
Beobachtungsabstände anpassen: Beim Spielen im öffentlichen Raum gilt: Je jünger das Kind, desto kürzer sollten die Zeiträume sein, in denen es unbeaufsichtigt ist.
Fazit: Im Zweifel haften die Eltern – Prävention ist der beste Schutz
Die Haftung von Kindern im Straßenverkehr ist kein Schwarz-Weiß-Thema. Während das Gesetz klare Altersgrenzen zieht, entscheidet letztlich oft die individuelle Einsichtsfähigkeit – und damit der konkrete Einzelfall. Für Eltern bedeutet das eine große Verantwortung im Alltag und eine hohe juristische Fallhöhe, wenn es zu einem Schaden kommt.
Um rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden, empfiehlt sich neben einer vorausschauenden Verkehrserziehung auch eine regelmäßige Überprüfung des eigenen Versicherungsschutzes. Im Zweifel gilt: Lieber einmal mehr begleiten und erklären, als später vor Gericht streiten.
Weiterführende Informationen
Dieser Beitrag basiert auf dem Fachvortrag „Haftung von Kindern im Straßenverkehr – Zwischen Schulwegprivileg und Eigenverantwortung“ von Rechtsanwältin Melanie Mathis, Fachanwältin für Verkehrsrecht, Quirmbach & Partner.
Der Vortrag wurde im Rahmen des 8. MonsTabor-Symposiums Personenschadenrecht am 26.09.2025 gehalten und beleuchtet aktuelle zivilrechtliche Entwicklungen rund um die Haftung Minderjähriger sowie elterliche Verantwortung im Straßenverkehr.
Download des Fachvortrags als PDF