Das Germanwings-UnglĂŒck als Auslöser der Debatte
Der tragische Absturz der Germanwings-Maschine ist uns allen noch deutlich im GedÀchtnis. Das juristische Nachspiel ist noch lange nicht beendet.
In einem Beitrag in Spiegel Online vom 15.07.2015 Ă€uĂerst sich Michael Graziano, Professor fĂŒr Zivilrecht an der UniversitĂ€t Genf mit Schwerpunkt Internationales und Vergleichendes Privatrecht, zu der Frage des Angehörigen-Schmerzensgeldes und der geplanten gesetzlichen Ănderung.
Im Folgenden fasse ich die AusfĂŒhrungen von Herrn Professor Graziano zusammen, denen ich in jedem einzelnen Punkt zustimme.
In Deutschland kaum Anspruch fĂŒr Angehörige
Im Gegensatz zum europĂ€ischen Ausland, gibt es in Deutschland keine gesetzliche Regelung fĂŒr ein Angehörigen-Schmerzensgeld im Falle des Todes oder bei schwersten Verletzungen eines nahen Angehörigen.
Der Schockschaden als einzige Ausnahme
Nur in AusnahmefĂ€llen gewĂ€hrt die deutsche Rechtsprechung ein Schmerzensgeld fĂŒr Angehörige, nĂ€mlich dann, wenn der Verlust zu einem Gesundheitsschaden fĂŒhrt, der ĂŒber den normalen Trauerprozess hinausgeht und feststellbaren Krankheitswert hat (der sogenannte âSchockschadenâ). UnzĂ€hlige Prozesse wurden in der Vergangenheit zu diesem Thema gefĂŒhrt, Prozesse, die im Extremfall ein Jahrzehnt andauern können, die die Schmerzen der Angehörigen ins Unendliche verlĂ€ngern und damit das ohnehin nur in Ausnahmen gewĂ€hrte Schmerzensgeld ad absurdum fĂŒhren.
Geplante Reform bleibt hinter Erwartungen zurĂŒck
Zu Recht hĂ€lt Professor Graziano den Gesetzesentwurf der Regierung fĂŒr unzureichend, da ein Angehörigen-Schmerzensgeld nur im Falle des Verschuldens eines Dritten gewĂ€hrt werden soll. In der juristischen RealitĂ€t bedeutet das, dass die Prozesse nicht weniger werden, sondern nur eine Verlagerung des Schwerpunkts stattfindet.
Auch Leid bei schwerer Verletzung zÀhlt
Auch die Regelung, nach der den Angehörigen nur im Todesfall ein Schmerzensgeld gewĂ€hrt werden soll, ist nicht nachvollziehbar, denn - wie Herr Professor Graziano sagt â das Leid von Angehörigen schwerverletzter Komapatienten ist mindestens gleichbedeutend, wenn nicht höher einzuschĂ€tzen als das Leid eines Angehörigen, der ein Kind, einen Partner oder ein Elternteil verloren hat.
Warum Begrenzungen beim Schmerzensgeld unsinnig sind
Im benachbarten Ausland ist das Schmerzensgeld fĂŒr Angehörige der Höhe nach begrenzt. Nach meiner Meinung ist auch das nicht einzusehen, denn es bedeutet, dass man psychische Schmerzen von Opfern und Angehörigen mit ungleichem MaĂ misst. Einen sachlichen Grund dafĂŒr gibt es nicht, denn psychischer Schmerz kann nur nach seinen tatsĂ€chlichen Auswirkungen auf den Betroffenen, egal ob GeschĂ€digter oder Angehöriger, bewertet werden,
Finanzielle Bedenken als Bremsklotz
Es steht zu vermuten, dass wieder einmal finanzielle Gesichtspunkte, nĂ€mlich die Furcht vor steigenden VersicherungsprĂ€mien, der Grund dafĂŒr sind, dass man beim Angehörigen-Schmerzensgeld keine âNĂ€gel mit Köpfenâ macht. Nach Meinung von Professor Graziani wĂŒrde es keine nennenswerte Kostensteigerung geben. Fraglich ist, ob ĂŒberhaupt eine Erhöhung der VersicherungsprĂ€mien notwendig wĂ€re.
Ein nach oben begrenztes Angehörigen-Schmerzensgeld nur bei Verschulden und nur im Todesfall eines nahen Angehörigen wÀre also kein wirklicher Fortschritt und nicht einmal eine halbe Sache. Es geht darum, psychisches Leid, soweit dies möglich ist, durch eine finanzielle EntschÀdigung zu mindern. Dieses Leid ist eine individuelle Angelegenheit und danach muss sich auch die Höhe der EntschÀdigung richten.
SolidaritÀt statt Sparpolitik
WĂŒrde man die Bevölkerung fragen, ob sie ein nach oben offenes Angehörigen-Schmerzensgeld auch dann befĂŒrwortet, wenn dadurch die VersicherungsprĂ€mie fĂŒr Kraftfahrt- oder sonstige Haftpflichtversicherungen steigt, bin ich mir der Antwort sehr sicher: Die ĂŒberwĂ€ltigende Mehrheit wĂŒrde mit âJaâ stimmen. Denn es gibt in der Tat so etwas wie einen SolidaritĂ€tsgedanken, gerade wenn man das tragische FlugzeugunglĂŒck vom MĂ€rz vor Augen hat. Die ĂŒberwĂ€ltigende Mehrheit wĂŒrde auch deshalb einer gesetzlichen Regelung den Vorzug geben, die ein Schmerzensgeld fĂŒr Angehörige ohne Grenzen nach oben regelt.