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Medizinrecht

01.06.2018

Kranke KrankenhÀuser - krankes Gesundheitssystem

Martin Quirmbach, Rechtsanwalt
Martin Quirmbach
Inhaltsverzeichnis
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Medizinisches Fachpersonal mit Laptop und Patientenakte

LĂ€nder kommen Investitionspflicht nicht nach

Die BundeslÀnder kommen mehr und mehr ihren Verpflichtungen, die Investitionskosten von KrankenhÀusern zu tragen nicht nach, obwohl sie gesetzlich dazu verpflichtet sind.
Der ohnehin schon bestehende wirtschaftliche Druck, der auf den KrankenhĂ€usern lastet, erreicht damit ein Ausmaß, das zwangslĂ€ufig zum Kollaps fĂŒhrt, wenn nicht gegengesteuert wird.

Ein krankes System auf dem RĂŒcken der Helfenden

Die Tatsache, dass das Gesundheitssystem noch nicht zusammengebrochen ist, beruht allein auf dem Umstand, dass Ärzte und Pflegepersonal sich weit ĂŒber ihre psychischen und physischen Grenzen hinaus einsetzen. Die Politik entzieht sich ihrer Verantwortung, indem sie KrankenhĂ€user privatisiert und damit zu Wirtschaftsunternehmen macht, die auf Gewinn angewiesen sind. Dieser Gewinn lĂ€sst sich zum einen durch massive Kosteneinsparung und zum anderen durch die Konzentration auf teure Behandlungen und Operationen erzielen.

Patienten als Produktionsmasse

Die verantwortlichen Klinikmanager gehen bei dem von den Investoren auferlegten Ziel der Gewinnmaximierung sprichwörtlich ĂŒber Leichen. FĂŒr die Investoren, und damit auch fĂŒr die von ihnen eingesetzten Manager, sind die Patienten nichts anderes als Produktionsmasse. Wer dies bestreiten will, sollte einmal einen Blick in den Klinikalltag werfen.

Personalverknappung in Kliniken

Permanente Personalverknappung fĂŒhrt seit Jahren zu einer chronischen Überbelastung der Ärzte und des Pflegepersonals, noch dazu bei nicht annĂ€hernd adĂ€quater Entlohnung. Die Klinikverwalter machen sich hierbei den Umstand zunutze, dass Ärzte sowie Krankenschwestern und Pfleger grundsĂ€tzlich ein hohes soziales Engagement und ein entsprechend hohes Verantwortungsbewusstsein haben. Sie haben den Eid des Hippokrates geleistet, also geschworen, den Patienten zu helfen und ihnen nicht zu schaden. Durch den Klinikalltag und die Forderungen, die an sie gestellt werden, geraten Ärzte und Pflegepersonal in einen tiefen Zwiespalt zwischen ihrem beruflichen Ethos und Anspruch einerseits und den unmenschlichen und unmoralischen Anforderungen, die an sie gestellt werden. Bereits 2016 berichtete das ZDF ĂŒber die Situation und die Arbeitsbedingungen der KlinikĂ€rzte. Es zeigte sich, dass die HĂ€lfte aller KlinikĂ€rzte schon einmal Suizidgedanken hatte. Ein Großteil der KlinikĂ€rzte hĂ€lt dem Druck nur mit Hilfe von Drogen stand. Die Annahme, dass ein so dramatischer Bericht die Politik aufschreckt, bleibt Wunschdenken.

Operationen ohne medizinische Notwendigkeit

Ein weiterer Aspekt, der auch juristisch hochinteressant ist, betrifft die unkontrollierte Macht der Klinikmanager. In der Plusminus-Sendung „KrankenhĂ€user auf der Intensivstation“ vom 2. Mai 2018 kommen ChefĂ€rzte (anonymisiert) zu Wort, die Unglaubliches berichten: Die Klinikverwaltung verlangt den Ärzten ab, vermehrt Therapien anzusetzen und die Operationen durchzufĂŒhren, die die höchste Rendite abwerfen, und zwar ohne RĂŒcksicht auf eine tatsĂ€chlich gegebene Indikation.

In einem medizinischen Zentrum gab es die Anordnung des GeschĂ€ftsfĂŒhrers, tĂ€glich mindestens 20 Herzkathetereingriffe durchzufĂŒhren. Bei Nichteinhaltung dieser Vorgabe drohte Gehaltsabzug. Eine Herzkatheteruntersuchung ist ein operativer Eingriff mit hohen Risiken, die Komplikationsrate betrĂ€gt 17,7 % und die Sterblichkeitsrate liegt bei ca. 0,7 %, weshalb die Indikation Ă€ußerst sorgfĂ€ltig zu stellen ist

Laut des TV-Beitrags befasst sich die Staatsanwaltschaft Hamburg aufgrund einer anonymen Anzeige mit diesem konkreten Fall. Ich persönlich rechne allerdings damit, dass das Verfahren eingestellt wird

Dieser Einzelfall ist erschĂŒtternd. Schwerwiegender ist jedoch die Tatsache, dass dieses Gebaren seit Jahren widerspruchslos geduldet wird.

In den Jahren 2010-2016, so die Reporter, stiegen die Kosten fĂŒr Herzoperationen in Deutschland um 2 Milliarden € - ein Schelm, der Böses dabei denkt. Ähnlich verhĂ€lt es sich im Bereich der WirbelsĂ€ulenchirurgie. In unserer Kanzlei bearbeiten wir Dutzende von FĂ€llen, in denen Patienten ohne Indikation an der LendenwirbelsĂ€ule operiert wurden. In einem aktuellen Fall bescheinigt der Gerichtsgutachter dem Arzt, dass er den Patienten dreimal ohne tatsĂ€chliche Indikation an der WirbelsĂ€ule operiert hat. Schlimmer noch, die unnötigen Operationen machen laut Gutachter in der Zukunft weitere Operationen an der WirbelsĂ€ule notwendig. Der Patient ist 40 Jahre alt und durch die Operation erwerbsunfĂ€hig.

Dies ist die Wunde, in die ich gerne meinen Finger legen möchte: Wo bleiben bei den seit Jahren bekannten Tatsachen der GesetzeshĂŒter, die Politik, die Moral, die Empathie und die Menschlichkeit?

MedizingeschĂ€digte – Opfer ohne Lobby

Die geschilderten Praktiken erfĂŒllen in jedem Fall den Straftatbestand der Körperverletzung und des Betrugs, und wenn es zum Schlimmsten kommt, auch den Tatbestand des Totschlags/Mordes.

Es ist ein schleichender Prozess, der sich mehr und mehr zuspitzt. Die Gewohnheit macht blind gegenĂŒber der Wirklichkeit. Die Dimension der VerstĂ¶ĂŸe gegen Gesetze, Moral und Menschlichkeit fĂŒhrt zu dem PhĂ€nomen der Massenignoranz. Niemand will die Fakten sehen, keiner sieht sich in der Verantwortung. Betroffene und ihre Angehörigen sind Opfer ohne Lobby. Dabei könnte solch ein Schicksal auch jeden der Verantwortlichen treffen.

All die unnötig operierten und falsch behandelten Patienten erdulden unsÀgliches Leid. Existenzen werden vernichtet, Kinder werden ihrer Eltern, Eltern ihrer Kinder, Partner ihrer Partner beraubt. Tausendfach leiden die Betroffenen ein Leben lang unter Schmerz, Einsamkeit, Verzweiflung und nicht zuletzt auch Armut.

Versicherer verweigern Schadensregulierung

All diese Menschen haben natĂŒrlich Anspruch auf eine sehr hohe EntschĂ€digung. Aber an dieser Stelle lĂ€sst der Staat sie ein zweites Mal im Stich. Versucht der GeschĂ€digte seine Rechte durchzusetzen, stĂ¶ĂŸt er bei den Versicherern auf Granit. Die Schadensregulierung wird inzwischen in fast allen FĂ€llen grundlos verweigert. Von Versicherungsvertretern hören wir immer hĂ€ufiger den Satz: Wir regulieren außergerichtlich auf keinen Fall.

Und wenn der schwer gebeutelte GeschĂ€digte seine Hoffnung in die Justiz setzt, wird er erneut enttĂ€uscht. Arzthaftungsverfahren dauernd nicht selten zehn Jahre und lĂ€nger. Die Justiz ist hoffnungslos ĂŒberfordert und arbeitet zudem noch nach lĂ€ngst veralteten Methoden. Es fehlen zehntausende Richter und entsprechend fehlt auch Gerichtspersonal. In einem ebenfalls aktuellen Verfahren, in dem es um die EntschĂ€digung fĂŒr ein durch einen Behandlungsfehler schwerst geschĂ€digtes Kind geht, befindet sich der Prozess inzwischen im achten Jahr. In den letzten drei Jahren hat die Besetzung des Gerichts viermal gewechselt. Die neuen Richter mussten sich jeweils einarbeiten und bevor es zum nĂ€chsten Termin kommen konnte, wechselten die Richter erneut. Der Vorsitzende der betreffenden Kammer hat mir in einem ausfĂŒhrlichen Telefonat sein Leid geklagt. Er hat uns keine Hoffnung gemacht, dass der Fall in absehbarer Zeit tatsĂ€chlich korrekt bearbeitet werden kann. AusdrĂŒcklich begrĂŒĂŸte er unsere Beschwerde beim GerichtsprĂ€sidenten. Sowohl ihm als auch uns ist jedoch klar, dass die Beschwerde zu keiner Besserung fĂŒhren wird.

Die Aktionen der neuen Bundesregierung gerade auch im Bereich der GesundheitsfĂŒrsorge lassen nicht erwarten, dass sich an den UmstĂ€nden in naher Zukunft etwas Ă€ndern wird.

Ein Lösungsvorschlag

Dabei ist eine Lösung denkbar und sie ist noch dazu einfach: Die Privatisierung von Kliniken und KrankenhĂ€usern muss rĂŒckgĂ€ngig gemacht werden. Stattdessen werden, wie dies frĂŒher in vielen FĂ€llen ĂŒblich war, wieder öffentlich-rechtliche Eigenbetriebe eingerichtet. Diese Betriebe sind mit ausreichend finanziellen Mitteln auszustatten, um das tatsĂ€chlich benötigte Personal einzustellen und GebĂ€ude und Technik auf einen guten und aktuellen Stand zu bringen.

Dies erfordert natĂŒrlich ein sehr hohen finanziellen Einsatz. Ein Einsatz, der sich sehr schnell lohnen wird. Schon nach kurzer Zeit wird eine tiefgreifende VerĂ€nderung im Gesundheitswesen eintreten. Zufriedene, nicht ĂŒberlastete und gut bezahlte Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern werden von dem psychischen Druck befreit, ihre Arbeit wird qualitativ besser. Die Patienten empfinden KrankenhĂ€user nicht mehr als krankmachend. Die Zahl der Behandlungsfehler sinkt dramatisch.

All dies fĂŒhrt zu erheblichen finanziellen Einsparungen, auch im Bereich der Sozialversicherung. Die Volkswirtschaft wĂŒrde profitieren, weil es nicht mehr so viele krankheitsbedingte AusfĂ€lle hochqualifizierter ArbeitskrĂ€fte gĂ€be. Ich bin ĂŒberzeugt, dass die Einsparungen unter BerĂŒcksichtigung all dieser Aspekt, nach kurzer Zeit die zunĂ€chst notwendigen Investitionen weit ĂŒbersteigen werden. Nicht zu unterschĂ€tzen wĂ€re der positive Effekt fĂŒr das gesellschaftliche Miteinander: mehr Raum fĂŒr Menschlichkeit, Empathie und Hilfsbereitschaft und damit mehr sozialer Frieden und weniger Staatsverdrossenheit.

Last but not least wĂŒrden die Politiker die ihnen vom Grundgesetz ĂŒbertragenen Aufgaben erfĂŒllen, nĂ€mlich nach besten KrĂ€ften fĂŒr das Wohl ihrer BĂŒrger zu sorgen. Schließlich haben sie den folgenden Eid geleistet: "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfĂŒllen und Gerechtigkeit gegen jedermann ĂŒben werde."

AnwaltsbĂŒro Quirmbach & Partner

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