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Geburtsschäden

06.10.2025

Wer haftet, wenn die KI im Kreißsaal Entscheidungen trifft?

Rechtsanwalt Sven Wilhelmy
Sven Wilhelmy
Inhaltsverzeichnis
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Ärztin oder Arzt mit digitalem Tablet und holografischen Symbolen für Künstliche Intelligenz, Robotik und medizinische Daten

Künstliche Intelligenz – die neue Realität im Kreißsaal

Künstliche Intelligenz (KI) hält zunehmend Einzug in die Geburtshilfe. Systeme, die CTG-Daten automatisch auswerten, Risiken erkennen oder Therapieempfehlungen vorschlagen, versprechen mehr Sicherheit im Kreißsaal und eine deutliche Entlastung für das medizinische Personal.

Doch was passiert, wenn die Technik irrt? Was, wenn ein drohendes Sauerstoffdefizit nicht erkannt wird oder eine fehlerhafte Empfehlung zu einer falschen Behandlungsentscheidung führt?

Die Frage nach der Verantwortung ist dabei nicht nur medizinisch, sondern vor allem juristisch entscheidend: Wer haftet, wenn eine KI im Kreißsaal eine falsche Entscheidung trifft – der Arzt, die Klinik oder der Softwarehersteller?

Haftung bei KI im Kreißsaal: Was das Landgericht Kiel entschied

Ein aufschlussreiches Urteil zu dieser Thematik stammt vom Landgericht Kiel vom 29. Februar 2024 (Az. 6 O 151/23). Zwar ging es in diesem Fall nicht um den medizinischen Bereich, sondern um ein Unternehmen, das eine KI zur automatisierten Auswertung von Handelsregisterdaten einsetzte.

Der Algorithmus lieferte falsche Ergebnisse, die veröffentlicht wurden – mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen für das betroffene Unternehmen.

Das Gericht stellte klar:

  • Wer KI-Ergebnisse nutzt und veröffentlicht, macht sich deren Inhalt rechtlich zu eigen.

  • Eine Entlastung mit dem Hinweis auf einen „Algorithmusfehler“ ist nicht möglich.

Diese Grundsätze lassen sich auf den medizinischen Kontext übertragen: Auch wenn KI-Systeme eigenständig analysieren oder Empfehlungen abgeben, bleibt die Verantwortung beim Anwender – in diesem Fall bei der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt oder der Klinik.

Der Arzt bleibt die „ultima ratio“

In seinem Urteil betonte das Landgericht Kiel ausdrücklich die Pflicht zur „meaningful human control“ – also zur sinnvollen, echten menschlichen Kontrolle über Entscheidungen, die auf KI-Ergebnissen basieren.

Im medizinischen Bereich bedeutet das:

  • Ärztinnen und Ärzte müssen die Vorschläge der KI kritisch prüfen.

  • Eine blinde Übernahme automatisierter Analysen ist nicht zulässig.

  • Unterbleibt diese Prüfung, kann dies als Behandlungsfehler gewertet werden.

Die ärztliche Sorgfaltspflicht bleibt in vollem Umfang bestehen. Auch bei digitaler Unterstützung liegt die letztverantwortliche Entscheidung weiterhin beim Menschen.

EU-KI-Verordnung: Neue Regeln für den Einsatz von KI in der Medizin

Seit Februar 2025 ist die neue EU-Verordnung über Künstliche Intelligenz (EU-KI-VO) in Kraft. Dies hat tiefgreifende Auswirkungen auf den Einsatz von KI im Gesundheitswesen, insbesondere in der Geburtshilfe.

So stuft die Verordnung medizinische Anwendungen in der Geburtshilfe als „Hochrisiko-KI-Systeme“ ein. Daraus ergeben sich strenge gesetzliche Pflichten für alle Beteiligten.

Kliniken und Ärzte müssen unter anderem Folgendes sicherstellen:

  • menschliche Aufsicht über die KI während des gesamten Einsatzes (Art. 26 KI-VO).

  • Einsatz ausschließlich durch geschultes Fachpersonal.

  • Benennung eines verantwortlichen KI-Beauftragten in der Einrichtung.

Diese neuen Pflichten zeigen: Technologie darf unterstützen, aber nicht autonom handeln.

Produkthaftung für medizinische KI: Neue Verantwortung für Hersteller

Am 23. Oktober 2024 wurde die EU-Produkthaftungsrichtlinie (ProdHaftRL) überarbeitet. Die Änderungen sind insbesondere für Softwarehersteller, aber auch für Kliniken, die KI-Systeme betreiben, relevant.

Wesentliche Neuerungen:

  • Software wird ausdrücklich als Produkt im Sinne des Produkthaftungsgesetzes definiert.

  • Die Beweislast für Patientinnen und Patienten wird erleichtert.

  • Die Ausschlussfrist für Haftungsansprüche wird von zehn auf 25 Jahre verlängert.

Damit haften Hersteller künftig verstärkt für Fehler in der Software. Das bedeutet für Betreiber zugleich, dass nur sorgfältig geprüfte, rechtssichere Systeme eingesetzt werden dürfen.

Verantwortung von Kliniken und Trägern: Organisatorische Pflichten

Nicht nur Ärzte, sondern auch Krankenhäuser und Träger haben neue Pflichten, die sich sowohl aus der EU-Verordnung als auch aus dem allgemeinen Arzthaftungsrecht ergeben.

Kliniken müssen u. a.:

  • KI-Systeme sorgfältig auswählen,

  • regelmäßige Funktionsprüfungen durchführen.

  • Schulungsnachweise dokumentieren.

  • vertragliche Haftungsregelungen mit Softwareanbietern abschließen.

Fehlen entsprechende Kontrollen oder Schulungen, kann dies als Organisationsverschulden gewertet werden, was haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Die zunehmende Digitalisierung bringt neue juristische Fragen mit sich – insbesondere beim Einsatz automatisierter Systeme im Kreißsaal. Mehr zur rechtlichen Bewertung von KI-gestützter Dokumentation und Patientenaufklärung lesen Sie hier: Digitalisierung im Kreißsaal und die Frage nach der Verantwortung

Fazit: Technik entlastet, Verantwortung bleibt

Künstliche Intelligenz kann in der Geburtshilfe wertvolle Unterstützung leisten, sei es bei der Überwachung, Auswertung oder Entscheidungsfindung. Doch sie verschiebt die Verantwortung nicht, sondern verändert ihre Form.

Ärztinnen, Ärzte und Kliniken müssen sicherstellen, dass KI-Anwendungen:

  • sorgfältig ausgewählt und implementiert werden,

  • ständig überwacht und hinterfragt werden und

  • der menschliche Faktor stets die letzte Instanz bleibt.

Das Patientenwohl steht über allem, auch über dem technologischen Fortschritt.

Weiterführende Informationen

Dieser Beitrag basiert auf dem Fachvortrag
„Haftungsrecht im Kreißsaal der Zukunft“
von Rechtsanwalt Sven Wilhelmy, Fachanwalt für Medizinrecht, Quirmbach & Partner.

Der Vortrag wurde im Rahmen des 8. MonsTabor-Symposiums Personenschadenrecht am 25.09.2025 gehalten und analysiert aktuelle haftungsrechtliche Fragen beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Geburtshilfe.
Download des Fachvortrags als PDF

Anwaltsbüro Quirmbach & Partner

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