Wenn Technik Entscheidungen mitträgt
Im modernen Kreißsaal kommen längst nicht mehr nur menschliche Erfahrung und medizinisches Wissen zum Einsatz. Digitale Überwachungssysteme, Sensoren, automatisierte Protokolle und künstliche Intelligenz (KI) begleiten heute viele Geburten. Diese Technik soll Risiken früh erkennen, das medizinische Personal entlasten und zu sichereren Geburtsverläufen beitragen.
Gleichzeitig wirft der Einsatz solcher Systeme jedoch auch neue Fragen auf: Was passiert beispielsweise, wenn ein Algorithmus eine Risikosituation nicht erkennt? Welche Beweiskraft hat eine automatische Dokumentation? Und wer haftet, wenn fehlerhafte Daten die Entscheidungsgrundlage waren?
In diesem Beitrag erhalten Sie einen Überblick über die wichtigsten rechtlichen Herausforderungen beim Einsatz künstlicher Intelligenz im Kreißsaal, insbesondere im Hinblick auf Dokumentation, Aufklärungspflichten und Beweislast.
Die Dokumentation als rechtliche Grundlage
In Deutschland ist die medizinische Dokumentation nicht nur Teil einer ordentlichen Behandlungsführung, sondern auch ein zentrales Beweismittel in Arzthaftungsprozessen. Gemäß § 630f BGB dient sie sowohl der Therapiesicherung als auch der juristischen Absicherung im Streitfall.
Mit der Einführung von KI-Systemen und automatisierter Erfassung entsteht jedoch eine neue Dynamik: Medizinische Maßnahmen werden zunehmend durch Software aufgezeichnet, während der Arzt bzw. die Ärztin nicht immer weiß, welche Daten tatsächlich gespeichert wurden.
Die zunehmende Digitalisierung bringt neue juristische Fragen mit sich, insbesondere beim Einsatz automatisierter Systeme im Kreißsaal. Mehr dazu lesen Sie in unserem Fachbeitrag zur Haftung bei KI in der Geburtshilfe.
Typische Problemfelder in der digitalen Dokumentation
1. Es fehlt häufig an Manipulationssicherheit
Elektronische Protokolle können sich durch Softwarefehler oder Updates nachträglich verändern. Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil von 2021 (Az. VI ZR 84/19) klargestellt, dass eine elektronische Dokumentation nur dann beweiskräftig ist, wenn sie revisionssicher ist und nachträgliche Änderungen erkennbar sind.
2. Intransparente KI-Systeme
Viele Anwendungen arbeiten im Hintergrund. Es ist oft nicht nachvollziehbar, wie bestimmte Werte oder Anmerkungen zustande kommen. Das erschwert die Beurteilung im Nachhinein.
3. Über- oder Unterdokumentation
Manche Systeme erfassen große Mengen irrelevanter Daten, während entscheidende medizinische Hinweise möglicherweise fehlen. Beides schwächt die Aussagekraft im Prozess.
Beweislastumkehr durch fehlerhafte Dokumentation
Nach § 630h BGB kann eine fehlerhafte oder lückenhafte Dokumentation dazu führen, dass sich im Haftungsfall die Beweislast zugunsten des Patienten verschiebt. Das bedeutet: Kann der Behandelnde nicht nachweisen, dass bestimmte Maßnahmen durchgeführt wurden, wird zugunsten des Patienten angenommen, dass sie unterblieben sind.
Revisionssicherheit als Sorgfaltspflicht
Für Kliniken und Arztpraxen bedeutet dies: Der Einsatz von KI-Systemen darf nur unter bestimmten technischen Voraussetzungen erfolgen. Software, die keine lückenlose und nachvollziehbare Änderungsprotokollierung bietet, erfüllt die rechtlichen Anforderungen nicht.
Voraussetzungen für rechtssichere Systeme:
Zeitstempel für jede Änderung
Eindeutige Nutzerzuordnung
Nachvollziehbare Audit-Trails
Schutz vor unbemerkter Manipulation
Wird eine Software verwendet, die diese Kriterien nicht erfüllt, kann ein Gericht die gesamte elektronische Dokumentation als nicht beweiskräftig einstufen. Dies hätte weitreichende Konsequenzen für die Verteidigung in einem Haftungsprozess.
Aufklärungspflicht bei Einsatz von KI
Neben der Dokumentation spielt auch die Aufklärung des Patienten eine zentrale Rolle. Gemäß § 630e BGB ist eine umfassende und verständliche Information über Art, Umfang und Risiken einer Behandlung erforderlich. Der Einsatz von KI fällt hier unter die sogenannten Neulandmethoden, also Verfahren, deren Wirksamkeit und Risiken noch nicht abschließend erforscht sind.
Was muss bei der Aufklärung beachtet werden?
Hinweis auf den experimentellen Charakter der Methode
Darstellung möglicher Risiken und Unsicherheiten
Vergleich mit alternativen Behandlungsmethoden ohne KI-Einsatz
Fehlt diese Aufklärung, gilt die Einwilligung des Patienten rechtlich als unwirksam – selbst dann, wenn die Behandlung erfolgreich war. Der Bundesgerichtshof hat hierzu mehrfach betont, dass nur eine informierte Entscheidung rechtlich gültig ist.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist rechtlich notwendig
Die durch KI-Systeme im Kreißsaal generierten Daten können eine wertvolle Ergänzung zur klassischen medizinischen Beurteilung darstellen. Sie entbinden jedoch nicht von der Pflicht zur Kontrolle.
Folgende Grundregeln sollten eingehalten werden:
Die Ergebnisse müssen durch einen Arzt geprüft und bewertet werden.
Es darf kein blindes Vertrauen in die automatisierte Protokollierung bestehen.
Widersprüche zwischen KI-Auswertung und klinischem Eindruck müssen geklärt werden.
Wer sich ausschließlich auf die Technik verlässt, riskiert, im Haftungsfall keine ausreichenden Nachweise erbringen zu können.Weiterführende Informationen
Weiterführende Informationen
Dieser Beitrag basiert auf dem Fachvortrag
„Neues aus dem Kreißsaal – Dokumentation, Aufklärung, Beweiskraft“
von Rechtsanwalt Alexander Rüdiger, Fachanwalt für Medizinrecht, Quirmbach & Partner.
Der Vortrag wurde im Rahmen des 8. MonsTabor-Symposiums Personenschadenrecht am 25.09.2025 gehalten und analysiert aktuelle haftungsrechtliche Fragen beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Geburtshilfe.
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