Schadensersatz nach Geburtsschaden
Ist eine fehlerhafte Schwangerschaftsbetreuung Ursache für die Behinderung eines Kindes und muss deswegen eine Immobilie um- oder neugebaut werden, gehören die Zwischenfinanzierungskosten für diese Immobilie zum erstattungsfähigen Schadensersatz, den die Haftpflichtversicherung des Krankenhauses/Arztes zahlen muss.
Der Verursacher eines Gesundheitsschadens hat den Betroffenen in schadensersatzrechtlicher Hinsicht so zu stellen, als wäre der Schaden nie eingetreten. Es liegt auf der Hand, dass dies im Falle eines Kindes, das infolge ärztlicher Behandlungsfehler mit einer irreparablen Hirnschädigung auf die Welt gekommen ist, niemals möglich ist. Dieser sog. Anspruch auf Naturalrestitution zielt daher im Falle geburtsgeschädigter Kinder darauf ab, dem Kind ein Leben zu ermöglichen, in dem die physischen Barrieren, die seine Behinderung darstellen, soweit wie möglich abgesenkt werden. Buchstäblich ist dies so, wenn etwa ein PKW oder auch eine Immobilie behinderungsbedingt eingerichtet oder umgebaut werden muss.
Flächen- und Ausstattungsmehrbedarf bei Immobilien: Teil des Schadensersatzes
Im Falle der Immobilie ist schadensersatzrechtlich der sog. Flächenmehrbedarf und der Ausstattungsmehrbedarf einer Wohnung oder eines Hauses zu erstatten. Berücksichtigung des Flächenmehrbedarfs heißt, dass z.B. bei der Planung einer Immobilie von vornherein größere Rangierflächen etwa für einen Rollstuhl, befahrbare Duschbereiche oder auch breitere Türen und Durchgänge geplant und umgesetzt werden. Der Ausstattungsmehrbedarf wird klassisch durch die Kosten abgebildet, die etwa die behindertengerechte Einrichtung von Therapieräumen oder Badezimmern sowie Treppenaufgängen betreffen. Die durch die Behinderung ausgelösten Mehrkosten, die bei der Planung und Ausführungen entsprechender baulicher Maßnahmen entstehen, sowie die Anschaffungskosten hierfür sind ohne Wenn und Aber von der Haftpflichtversicherung eines Schadensverursachers zu erstatten.
Zwischenfinanzierungskosten für eine Immobilie: erstattungsfähiger Schadensersatz
Das OLG Frankfurt hat nun in einer aktuellen Entscheidung vom 9.8.2018 (8 U 181/16) auch die Zwischenfinanzierungskosten für eine Immobilie als erstattungsfähigen Schadensersatz angesehen.
Das betroffene Mädchen kam mit einer Trisomie 18 mit schweren körperlichen Fehlbildungen zur Welt, verursacht durch eine fehlerhafte Beratung der Mutter während der Schwangerschaftsbetreuung. Es konnte seinen Oberkörper und Kopf nicht eigenständig halten, nicht essen, krabbeln und laufen und litt unter nächtlichen Unruhezuständen
Die Familie, die weiteren Nachwuchs erwartete, wohnte in einer nicht behindertengerechten Eigentumswohnung. Es fiel der Entschluss zum Bau eines Hauses mit einem im Erdgeschoss gelegenen behindertengerechten Zimmer nebst kleinem Badezimmer. Der Bau wurde bis zum Verkauf der Wohnung über ein Darlehen finanziert. Diese Zwischenfinanzierungskosten in fünfstelliger Größenordnung wurden als Schadensersatz geltend gemacht.
Sowohl Landgericht als auch Oberlandesgericht urteilten, dass auch die Zwischenfinanzierungskosten als Folge der fehlerhaften Schwangerschaftsbetreuung von den Beklagten zu übernehmen sind. Die klagenden Eltern hätten die erste Schwangerschaft bei fehlerfreier Behandlung und Beratung durch die behandelnde Frauenarztpraxis abgebrochen und in diesem Fall erst nach der zweiten Schwangerschaft ihr erstes Kind bekommen. Die bis dahin bewohnte Eigentumswohnung wäre für zwei gesunde Kinder, was der zu erwartenden Lebensplanung entsprochen hätte, völlig ausreichend gewesen.
Im Verfahren musste freilich plausibel dargelegt werden, dass die Eltern einzig aufgrund der schwersten Behinderung ihrer Tochter und nicht wegen der anstehenden weiteren Vergrößerung der Familie die Eigentumswohnung aufgegeben haben und ein Einfamilienhaus bauten. Konkret wurde vorgetragen, dass in der alten Wohnung Treppenpodeste zu überwinden waren und es keinen Parkplatz in unmittelbarer Wohnungsnähe gab, wodurch das Rangieren mit der schwerstbehinderten Tochter erheblichen Aufwand verursachte. Alleine das Gewicht des Kinderwagens und auch die erhebliche Geräuschentwicklung während der nächtlichen Unruhe der Klägerin begründeten die Notwendigkeit, ein behindertengerechtes Haus zu bauen.
Im Verfahren konnte von der Beklagtenseite nicht mehr eingewandt werden, die Vergrößerung des Wohnraums sei durch die Vergrößerung der Familie bedingt. Die Kläger trugen stichhaltig vor, dass sie sich ausschließlich aufgrund der schwersten Behinderung der Tochter zum Bau des Einfamilienhauses entschlossen haben.
Jan Tübben, Fachanwalt für Medizinrecht