Eine Million Euro Schmerzensgeld nach Behandlungsfehler
Nach 6-jähriger Prozessdauer hat das Landgericht Limburg am 28.06.2021 (Az.: 1 O 45/15) einem zum Behandlungszeitpunkt einjährigen Kind einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von einer Million Euro zuerkannt.
Fehlerhafte Reanimation nach Aspiration
Im Rahmen einer Krankenhausbehandlung erhielt das Kind eine Medikamenteninfusion, kurz nachdem es noch etwas gegessen hatte. Es verschluckte sich – nicht unerwartet, wie medizinische Sachverständige dies vor dem Landgericht einschätzten – an den Essensresten und es kam zu einem Atemstillstand. Das alarmierte Notfall-Team konnte die Atmung nur durch die durchgeführte Intubation reaktivieren. Doch auch in der Reanimationssituation wurden gute fachmedizinische Standards leider nicht in allen Belangen eingehalten.
Ein Leben lang auf fremde Hilfe angewiesen
Die verantwortliche Schwester hätte keinesfalls so kurz nach der Essenaufnahme eine medizinische Maßnahme an dem Kind vornehmen dürfen, auf die es mit Abwehrspannung, Schreck oder Angst reagieren würde. Gerade in der Kindermedizin ist bekannt, dass auch mit ungewöhnlichen, atypischen oder unerwarteten Reaktionen und entsprechendem Verhalten der Patienten gerechnet werden muss. Die Aspiration kam also nicht überraschend und wurde zum Kern des Vorwurfs. Dass anschließend dann auch die Behandlungsalgorithmen in der Notfallsituation nicht umgesetzt werden konnten, macht den Fall um so tragischer, zumal eine Aspiration nicht per se mit schlimmen Folgen verbunden sein muss.
So aber im nun entschiedenen Fall. Der Kläger wird aufgrund einer Sauerstoffmangelversorgung sein Leben lang pflegebedürftig und auf fremde Hilfe angewiesen sein. Er ist partiell empfindungsfähig, aber kaum zur Kommunikation und schon gar nicht zur Selbstversorgung in der Lage. Ein schwereres Schicksal ist kaum denkbar.
Richter gingen weit über die Forderung des Klägers hinaus
Dementsprechend hat das Landgericht Limburg dem heute 10-jährigen einen Schmerzensgeldkapitalbetrag in Höhe von einer Million Euro zugesprochen und damit das höchste, bislang in Deutschland ausgeurteilte Schmerzensgeld zuerkannt. Zwar ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig, jedoch ist sie vor dem Hintergrund der Tendenzen der Gerichte in den letzten zwei bis drei Jahren konsequent und folgerichtig. Bereits die Landgerichte Gießen und Aurich sowie das OLG Oldenburg hatten auf Schmerzensgeldkapitalbeträge in Höhe von 800.000 Euro erkannt, nachdem sich die sog. taggenaue Schmerzensgeldbemessung nicht durchgesetzt hatte. Von den vielbeschworenen amerikanischen Verhältnissen sind wir damit allerdings immer noch sehr weit entfernt. Unverändert haben Schmerzensgelder in Deutschland auch keinen Strafcharakter.
Behandlungsstandards müssen verbessert werden
Zwar gibt der Betrag von einer Million Euro dem Kind seine Gesundheit nicht wieder zurück, doch ist mit der aktuellen Entscheidung zumindest die Hoffnung verbunden, dass die Medizin und die Krankenhäuser dieses Signal dahingehend verstehen, nicht über die Versicherbarkeit von Krankenhausrisiken zu diskutieren. Vielmehr müssen sie weiter an der Verbesserung bzw. Aufrechterhaltung möglichst situationsfester, funktionierender Behandlungsstandards arbeiten. Vor allem auch gerichtliche Sachverständige sind gehalten, an der Aufrechterhaltung guter fachklinischer Standards mitzuwirken.
Nur durch die Schulung, Wahrung und Pflege fachmedizinischer Standards, nicht aber durch windige Prozessführung, unmotivierte Gerichte oder kollegenschützende Sachverständige können Kliniken sowie Haftpflichtversicherer und Risk-Management-Unternehmen an der Vermeidung solcher fataler Behandlungszwischenfälle mitwirken.
Jan Tübben, Fachanwalt für Medizinrecht