Aufklärungspflichten des Arztes bei Vermeidung einer Frühgeburt
Etwa 9% der Säuglinge in Deutschland kommen zu früh zur Welt. Zwar sind die Überlebenschancen der sogenannten „Frühchen“ inzwischen sehr hoch, oberstes Ziel jedoch ist es, die Schwangerschaft in der Gebärmutter möglichst lange zu erhalten. Inzwischen gibt es zahlreiche Behandlungsmethoden, mit denen sich dieses Ziel erreichen lässt.
Barbara Y. ist im 6. Monat schwanger. Bis zum errechneten Geburtstermin sind es noch zwölf Wochen. Doch bereits kurz nach Beginn des 6. Schwangerschaftsmonats setzen die ersten Wehen ein. Frau Y. begibt sich sofort zu Ihrem Arzt, der mit einer medikamentösen Therapie versucht, eine verfrühte Geburt zu verhindern – ein Versuch, der scheitert. Das Kind kommt mit schweren Geburtsschäden zur Welt.
Frau Y. ist der Auffassung, dass der Arzt sie nicht über alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten aufgeklärt hat, da auch noch eine Cerclage (Gebärmutterhalsumschlingung) möglich gewesen wäre, die die frühe Geburt möglicherweise verhindert hätte.
Umfassende Aufklärung durch Arzt ist ein Muss
Ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH-Urteil vom 07.02.2012, Az.: VI ZR 63/11) bestätigt diese Auffassung: Wird eine werdende Mutter nicht über alle zur Wahl stehenden Behandlungsmethoden zur Fortsetzung der Schwangerschaft und der Verhinderung einer Frühgeburt aufgeklärt, liegt ein Aufklärungsfehler des Arztes vor. Nicht nur vor einer Operation oder einer Kaiserschnittentbindung, auch bei medikamentöser Behandlung zur Verhinderung einer Frühgeburt ist die werdende Mutter über die Risiken und Folgen aufzuklären. Der behandelnde Arzt hat sie so aufzuklären, dass sie in die Lage versetzt wird, die Risiken und Vorteile gegeneinander abzuwägen und sich für die eine oder andere Behandlung zu entscheiden.
Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld
Findet eine solche Aufklärung nicht statt und hatte die Mutter keine Wahl, hat das geschädigte Kind und unter Umständen auch die Mutter Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld.
Der Kläger, hier das geschädigte Kind, muss allerdings beweisen, dass sich seine Mutter nach einer ordnungsgemäßen Aufklärung für die Cerclage entschieden hätte und das Legen der Cerclage die Geburt verzögert und den durch die zu frühe Geburt entstandenen Gesundheitsschaden bei ihm vermieden hätte.
Der BGH unterstreicht durch dieses Urteil einmal mehr, wie wichtig die Aufklärung ist – auch bei einer medikamentösen Behandlung.
Jeder Patient hat das Recht auf Selbstbestimmung – und damit auch darauf, von einem Arzt ordnungsgemäß über die Risiken und Folgen einer Behandlung aufgeklärt zu werden. Die Zeiten, in denen der Patient aufgrund der Unkenntnis der Medizin übergangen wurde und der Arzt die Entscheidung für ihn traf, sind längst vorbei.
Rechtsanwältin Irem Jung, Fachanwältin für Medizinrecht, spezialisiert auf Geburtsschadensrecht und Geburtsfehler
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